Sozialistische
Interpellation
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besorgte er sehr heftige Angriffe von seiten der Sozialisten und ein Ab-
rücken der Freisinnigen und namentlich des Zentrums von dem kompro-
mittierten Staatssekretär. Ich sagte ihm sogleich, daß ich einen verdienten
und hervorragenden Beamten wegen eines Vorfalles, bei dem es sich in keiner
Weise um einen Mangel an Pflichttreue oder gar an Integrität handle,
sondern höchstens um eine Unbesonnenheit, unter gar keinen Umständen
im Stich lassen würde. Ich übernähme die Bürgschaft für eine richtige Be-
urteilung der ganzen Angelegenheit durch Seine Majestät den Kaiser. Im
Reichstag würde ich selbst für den Staatssekretär eintreten. Sichtlich be-
ruhigt setzte mir Graf Posadowsky nunmehr auseinander, daß die Verant-
wortung für die ganze Angelegenheit nicht eigentlich er selbst, sondern der
Direktorim Reichsamt des Innern Dr. von Woedtke trage, der den General-
sekretär des Zentralverbandes, Herrn Bueck, gebeten habe, die fragliche
Summe von 12000 Mark zur Verfügung zu stellen. Wenn ich mir heute,
mehr als zwei Jahrzehnte später, klarmache, daß dieser ganze Sturm wegen
12000 Mark entstanden war, so wird mir recht deutlich, in welchem Zu-
stand fast paradiesischer Unschuld wir uns im alten Deutschland be-
fanden. Im Prozeß Erzberger handelte es sich um ganz andere Pudenda
und um ganz andere Summen, und einer nicht geringen Anzahl Machthabern
der Republik sind weit schlimmere Sünden vorgehalten worden als die
Andeutung, daß 12000 Mark für Agitationszwecke der Regierung nicht
unerwünscht sein würden. Aber wir lebten damals im Obrigkeitsstaat,
dessen leitende Männer nicht die Rhinozeroshaut der Koryphäen des
„Volksstaats‘“ besaßen und in puncto Ehrbarkeit und Integrität sogar
sehr pointillös waren.
Bevor er mich verließ, erbat Graf Posadowsky, nachdem er mir für mein
freundschaftliches Entgegenkommen auf das wärmste gedankt hatte, die
Erlaubnis, den Sachverhalt „in objektiver Weise“ in der Presse beleuchten
zu lassen. Es geschah dies denn auch durch einen Artikel in der ministe-
riellen „Berliner Korrespondenz“, in demes hieß: „Auf Anregung und durch
Vermittlung des Direktors im Reichsamt des Innern Dr. von Woedtke
hat der Generalsekretär Bueck eine Summe von 12000 Mark zur Ver-
fügung gestellt. Diese ist zur Deckung der Kosten verwendet worden, die
durch Druck und Verbreitung amtlichen Materials entstanden sind. Über
die Verausgabung der Summe behufs Verbreitung des bezeichneten, in
den Drucksachen des Reichstags bereits niedergelegten amtlichen Materials
besitzt der genannte Beamte urkundliche Belege.“
Am 24. November fand im Reichstag die Verhandlung über die von
sozialdemokratischer Seite eingebrachte Interpellation statt. Der sozialisti-
sche Abgeordnete Auer begründete seine Anfrage in würdiger, maßvoller
Form. Ignaz Auer war eines der sympathischsten Mitglieder der sozialisti-