Tod
Woedikes
470 EINE LEICHENFEIER
ich nicht zurück. Solchen Treibereien und Machenschaften räumte ich
keinen Einfluß ein auf meine amtlichen Entschließungen. Im übrigen könnte
die Sozialdemokratie versichert sein, daß ich keine Neigung empfinde, ihr
je wieder ähnlichen Agitationsstoff zuführen zu lassen.
Etwa acht Tage nach dieser meiner Erklärung, durch die ich das ministe-
rielle Leben meines Kollegen Posadowsky um sieben Jahre verlängerte,
ersuchte mich der Ministerialdirektor von Woedtke um eine Unterredung.
Ich sah einen gebrochenen Mann vor mir. Mit allen Zeichen nicht sowohl
der Erregtheit als tiefen Schmerzes sagte er mir, er habe das Bedürfnis,
sich vor seinem obersten Vorgesetzten moralisch zu rechtfertigen, ohne
daran irgendein Ersuchen zu knüpfen. Als die „Leipziger Volkszeitung“
das Schreiben des Herrn Bueck veröffentlicht hätte, habe Graf Posadowsky
ihn sofort kommen lassen und ihm gesagt: Wenn dieser Vorwurf des sozial-
demokratischen Blattes auf ihm, dem Minister sitzenbleibe, wäre seine
amtliche Zukunft vernichtet. Er, Woedtke, möge die Verantwortung auf
sich nehmen. Einerseits gehöre die ganze Angelegenheit in sein Ressort,
andererseits würde der Vorfall ihm als einem mehr im Hintergrunde
stehenden Beamten weiter nicht schaden. Daraufhin habe er, Woedtke,
seine Zustimmung gegeben, daß in der Richtigstellung der „Berliner
Korrespondenz“ auf ihn als Anreger und Vermittler des Gesuches um die
Summe von 12000 Mark hingewiesen würde. Nachdem er nun derartig
zum Sündenbock gestempelt worden sei, habe Graf Posadowsky sich auch
äußerlich von ihm abgewandt und ihm sogar verboten, sich weiter im
Reichstag und in den Reichstagskommissionen zu zeigen. Ich habe selten
einen Mann vor mir gesehen, der mir so tiefes Mitleid einflößte wie dieser
langgediente, wohlverdiente und zweifellos durch und durch ehrenhafte
Beamte. Herr von Woedtke starb einige Wochen später, nicht, wie ge-
tuschelt wurde, durch Selbstmord, aber infolge seelischer Erschütterung.
Als unter den Kollegen des Grafen Posadowsky die Frage erörtert wurde,
ob dieser der Leichenfeier seines Untergebenen beiwohnen würde, meinte
einer der Minister, es wäre besser, daß Posadowsky nicht im Trauerhause
erschiene. Sonst könnte es ihm ergehen wie Hagen, als der an die Leiche
von Siegfried trat und dessen Wunden wieder zu bluten anfıngen.
Das ist ein großes Wunder, wie es noch oft geschieht,
Wenn man den Mordbefleckten bei dem Toten sieht,
So bluten ihm die Wunden
heißt es im Nibelungenlied.
Graf Arthur Posadowsky war ein Mann von vielen und starken Vorzügen.
Ich habe selten, selbst in Deutschland, dem Land der Arbeit, eine ähnliche
Arbeitskraft gesehen. Er beherrschte alle Zweige und Materien seines um-