SIEBEN JAHRE NACH BISMARCKS STURZ 27
gebrauchten Wendung zu bedienen, tatsächlich seit dem Vertrage von Ver-
dun, das heißt seit dem 11. August 843. Unser westlicher Nachbar war das
französische Volk, das unruhigste, ehrgeizigste, eitelste, im wahren Sinne
des Wortes das militärischste und nationalistischste aller europäischen
Völker, seit dem letzten deutsch-französischen Krieg von uns durch einen
Graben getrennt, den, wie mir noch 1913 ein hervorragender französischer
Historiker schreiben sollte, nichts, gar nichts zu überbrücken imstande war.
Im Osten umfaßten uns slawische Völkerschaften, von Abneigung gegen
den Deutschen erfüllt, der ihnen Lehrer zu höherer Kultur gewesen war,
den sie aber gerade deshalb mit dem giftigen Haß verfolgten, den ein un-
geberdiger, vielfach roh veranlagter Zögling für den würdigen und tüchtigen
Hauslehrer empfindet. Das galt noch mehr als für die Russen für die
Tschechen und namentlich für die Polen, die seit der Gründung eines groß-
polnischen Reiches durch Boleslaw Chrobry, das heißt seit 900 Jahren,
Ansprüche auf unsern Osten erhoben. Die Beziehungen zwischen Deutschen
und Engländern batten im Laufe der Jahrhunderte geschwankt. Im
großen und ganzen stand John Bull immer auf dem Standpunkt, daß er den
armen deutschen Vetter wohl begönnern und protegieren, ihn auch hier
und da zu grober Arbeit verwenden, aber nicht als gleichberechtigt
anerkennen wollte. Im Grunde mochten uns die anderen alle nicht. Solche
Antipathie gegen uns bestand schon, bevor der Neid auf unsere von Bis-
marck geschaffene Macht und Wohlfahrt die Abneigung gegen uns noch
erheblich verschärfte. Unsere geringe Beliebtheit war übrigens auch darauf
zurückzuführen, daß wir die Bedeutung der Form unterschätzten, den
Schein, wo doch schon der griechische Philosoph darauf hingewiesen hatte,
daß die Menschen in ihrer großen Mehrheit nach dem Schein urteilen und
fühlen, nicht nach dem Wesen der Dinge. Solche Auffassung und Gefühls-
weise konnte sich der ernsthafte, gründliche, immer auf den Kern der
Dinge gehende und deshalb für die Schale zu gleichgültige Deutsche schwer
vorstellen.
Wie war sieben Jahre nach dem Rücktritt des Fürsten Bismarck unsere
auswärtige Lage? Wie lagen die Verhältnisse im Innern?
Schon vor meiner Berufung nach Berlin, während meiner ganzen dienst-
lichen Tätigkeit im Auslande war ich bestrebt gewesen, mich in reger Füh-
lungnahme mit der Heimat zu halten. Ich hatte die Entwicklung der inneren
Verhältnisse Deutschlands sorgsam beobachtet und die große europäische
Presse regelmäßig verfolgt. Ich hatte mich insbesondere durch Briefwechsel
mit Freunden und Kollegen immer auf dem laufenden gehalten. Besonders
interessant waren mir die Nachrichten des Grafen Monts gewesen, die ich
aufbewahrt hatte. Schon als junger Attach@ im Auswärtigen Amt lernte
ich den Grafen Anton Monts kennen. Er hatte kurz vorher sein Assessor-
Graf Anton
Monts