484 DER KÖNIG VON WÜRTTEMBERG
Diese schönen Verse von Geibel sind mir hinsichtlich der Behandlung
der Bundesstaaten als der Weisheit letzter Schluß erschienen. Irgendwelche
politische Superiorität von Bayern anzuerkennen, lag übrigens niemandem
ferner als den Schwaben. Mein Amtsvorgänger Fürst Chlodwig Hohenlohe
hat mir oft erzählt, daß er als bayrischer Ministerpräsident zwischen 1867
und 1870, im Einverständnis mit dem damaligen norddeutschen Bundes-
kanzler Bismarck, ein engeres Verhältnis der süddeutschen Staaten unter
der Leitung von Bayern angestrebt habe. Für die Idee einer Konföde-
ration fand er in Stuttgart freudiges Verständnis. Der Gedanke an eine
Leitung des Bundes durch Bayern oder auch nur an ein bayrisches Präsi-
dium wurde aber mit Entrüstung abgelehnt, gelegentlich unter Hinweis
darauf, daß Württemberg dem deutschen Volke einige seiner größten
Geister: Schiller und Hegel, Hölderlin, Uhland und Mörike, Schelling und
Friedrich List, geschenkt habe, während Bayern auf dem Parnaß unserer
Dichter und Denker so gut wie gar nicht vertreten wäre. Umgekehrt wurde
in Karlsruhe dem bayrischen Ministerpräsidenten Hohenlohe erwidert, daß
das „Musterländle‘, das immer die Vorhut der deutschen politischen Ent-
wicklung gebildet hätte und das politisch Deutschland als Vorbild dienen
könne, sich weder unter Württemberg noch unter Bayern beugen könne.
In Darmstadt hielt man auch die badischen Ansprüche und die badische
Selbsteinschätzung für stark übertrieben. Alles dies beweist nur wieder,
daß Bismarck wie in der bekannten Erzählung Columbus das Ei auf den
Kopf stellte, als er das glorreiche Reich schuf, in dem sich die Unitas in
necessariis so glücklich mit der Libertas in dubiis verband.
König Wilhelm von Württemberg, der mich im Schloß absteigen ließ,
war ein Fürst von schlichtem Wesen, mit einem goldenen Herzen, ein
guter Schwabe und dabei ein glühender deutscher Patriot. Er war vor
allem treu. Wie er zeitlebens zu dem Studentenkorps hielt, dem er in
Göttingen angehört hatte, zu dem Potsdamer Leibgarde-Husarenregiment,
in dem er als Rittmeister gestanden hatte, so hing er mit unerschütterlicher
Treue an Kaiser und Reich. Durchaus leutselig, ohne jede Aufgeblasenheit,
stand er doch dem parlamentarischen Leben in Württemberg und erst
recht im Reich etwas fremd gegenüber. Er war erstaunt, als ich ihm den
württembergischen Zentrumsabgeordneten Gröber rühmte, von dem er bis
dahin kaum etwas gehört hatte. Ich vermute, daß die Rolle, die später
Matthias Erzberger aus Buttenhausen spielen sollte, den König Wilhelm
noch mehr befremdet hat. Wie vorher in München, später in Karlsruhe,
Darmstadt und Dresden benützte ich auch in Stuttgart meinen Besuch
vornehmlich dazu, mich mit den maßgebenden Ministern über die end-
gültige Fassung wie über die parlamentarische Behandlung der Zolltarif-
vorlage zu verständigen. Ich hatte zu diesem Zweck eingehende Unter-