Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE QUEEN UND MADAME KOLEMINE 489 
Unmittelbar nach der Trauung wurde aber der würdige Staatsminister 
von Gewissensbissen gequält. Er eilte zu dem preußischen Gesandten, dem 
Baron Ferdinand Stumm, dem nachmaligen Botschafter in Madrid, und 
beichtete ihm alles. Stumm meldete pflichtschuldigst den betrübenden Vor- 
fall den kronprinzlichen Herrschaften und der Berliner Regierung. Niemand 
wußte Rat, bis die Königin Victoria eingriff. Sie war als Königin von Groß- 
britannien und Irland eine streng konstitutionelle Herrscherin. Als Mutter, 
Großmutter und insbesondere als Schwiegermutter fühlte sie sich als 
Autokratin. Sie erklärte sogleich, daß die Ehe ihres früheren Schwieger- 
sohns mit Madame Kolemine einfach nicht vollzogen werden würde, nahm 
den Schwiegersohn beim Ohrläppchen und fuhr noch am selben Abend mit 
ihm nach Balmoral in Schottland, wo er Zeit hatte, über sein nur erträumtes 
Eheglück nachzudenken. Inzwischen wurde seine Verbindung mit Madame 
Kolemine annulliert. Sie erhielt eine nicht unbedeutende Abfindungssumme 
und den Titel einer Gräfin von Romrod. Sie hat später einen russischen 
Diplomaten, Herrn von Bacheracht, geheiratet, mit ihm eine beide Teile 
befriedigende Ehe geführt und während des Weltkriegs in Bern, wo ihr 
Gatte russischer Gesandter war, eifrig für die Entente gewirkt. Der ganze 
Vorfall würde Jacques Offenbach den Vorwurf zu einer vielleicht reizenden 
Operette geboten haben, wenn er ihn noch erlebt hätte. Betrüblich an ihm 
war nur die Unselbständigkeit und Ratlosigkeit des Regenten eines deut- 
schen Mittelstaats bei etwas bewegterem Gang seines Lebensschiffes. Es 
war derselbe Mangel an Entschlußkraft, Geistesgegenwart und Kalt- 
blütigkeit, den später viele deutsche Fürsten gegenüber der Revolution 
zeigten. 1884 ließ sich das hessische Volk an seinem Landesvater nicht irre- 
machen, sondern umgab ihn nach seinem zweiten, ach so kurzen und un- 
vollkommenen Eheglück mit gerührter Sympathie. Die Zeche bezahlte der 
Minister Stark, der zurücktreten mußte. 
Von Darmstadt führte mich nach kurzem Aufenthalt, der mir aber doch 
Gelegenheit geboten hatte, mich mit den hessischen Ministern über die Zoll- 
tariffrage zu verständigen, mein Weg nach der Hauptstadt des Königreichs 
Sachsen. Wenn Stuttgart an politischer Bedeutung und als Hof nicht 
München gleichkam, Darmstadt nicht Karlsruhe und Stuttgart, so wehte in 
Dresden wieder die Luft eines größeren Staatswesens. Vor allem hatte ich dort 
die Ehre, König Albert wiederzuschen, eine der bedeutendsten Figuren 
des neuen Deutschen Reichs. Der Feldmarschall Moltke hatte bekanntlich 
von ihm gesagt, er sei der einzige deutsche General, der im Deutsch- 
Französischen Krieg keinen Fehler gemacht habe. Als tapferer und kluger 
Feldherr hatte sich Kronprinz Albert schon im Krieg von 1866 als Führer 
der sächsischen Armee bei Münchengrätz, Gitschin und Königgrätz auf 
österreichischer Seite bewährt. Ihm war es zu danken gewesen, daß nach 
Besuch 
in Dresden
	        
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