Auguste
Viktoria
bei der
Kaiserin
Friedrich
504 DAS LEIDEN DER KAISERIN FRIEDRICH
liegt eine große Härte des Schicksals darin, daß dieser impressionable,
unstete und quecksilberige Mann, der novarum rerum cupidus war wie
kaum igendein Gallier zu Cäsars Zeit, nach seinem Sturz verurteilt wurde,
das stillste, monotonste, beengteste und eingeschränkteste Leben zu führen,
das einem Mann in seinen Jahren beschieden sein kann.
Während der Englandfahrt des Kaisers erhielt ich eine Reihe von
Telegrammen, die in freudigem Tone, in glücklichster Stimmung den präch-
tigen Anblick des von Schiffen belebten Meeres, der malerischen Kreide-
felsen der englischen Küste schilderten. Der Kaiser hatte seine Großmutter
noch lebend angetroffen. Sie starb am 21. Januar 1901. Sie war eine der
größten Erscheinungen der englischen Geschichte, einer der erfolgreichsten,
verehrtesten, geliebtesten Souveräne der Weltgeschichte. In bewegten
Worten schilderte mir der Kaiser, wie er seiner sterbenden Großmutter
noch allerlei kleine Dienste hätte leisten können, daß sie, gestützt von ihm,
„gewissermaßen“ in seinen Armen gestorben wäre. Die Reise des Kaisers
an das Sterbelager der Großmutter war der Kaiserin Auguste Viktoria,
obwohl auch sie in Ehrerbietung an der Großmutter hing, nicht erwünscht
gewesen. Ihr Gemahl war über ihren Widerspruch ohne jedes Bedenken und
stürmisch hinweggegangen. Nun wünschte sie dringend, daß der Kaiser
nicht bis zu dem Begräbnis in England bleiben möge, das erst vierzehn
Tage nach dem Heimgang der Königin stattfinden sollte. Sie schrieb mir
am 23. Januar aus Homburg, wohin sie gefahren war, um ihre schwerkranke
Schwiegermutter, die Kaiserin Friedrich, zu besuchen: „Ich hoffe, Sie
werden esnoch möglich machen, den Kaiser zu überreden, die Beisetzung auf-
zugeben und sich damit zu begnügen, den Kronprinzen und vielleicht Prinz
Heinrich, der darauf brennt, hinzuschicken, oder, wenn dies wirklich nicht
zu machen ist, daß der Kaiser inzwischen hierher zu seiner Mutter kommt.
Sogar die Kaiserin Friedrich meint, er solle nicht auf die Beisetzung
warten. Sie wünscht persönlich sehr, den Kaiser zu sehen. Der Anblick der
hohen Frau ist einfach jammervoll. Sie trägt es wirklich groß. Ich glaube
nicht, daß der Zustand sich wesentlich verschlimmern wird nach diesem
Todesfall, dafür war sie heute schon zu gefaßt.‘“ Am folgenden Tage schrieb
mir Ihre Majestät weiter aus Homburg: „Sie werden nächstens meine
Handschrift verabscheuen, aber ich muß Ihnen einliegendes Telegramm
senden. Es traf gestern abend spät ein. In verschiedener Weise hat es mich
beunruhigt: 1. da ich aus demselben ersehe, daß der Kaiser wieder sehr
nervös, abgespannt ist. Aber das trifft, wie Sie wissen, leicht ein beim
Kaiser und ist natürlich, da er sich einer Sache immer ganz hingibt. 2. Aber
besonders gefährlich ist meiner Ansicht nach, daß man jetzt versucht,
besonders die Damen, auf seine warme, freundliche Natur einzustürmen,
ihm so schönzutun (jede will ihn natürlich nur für ihre Zwecke gewinnen)‘