Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER FELDZUGSPLAN PURER NONSENS 517 
England überall, auch im Reichstag eingetreten sind. Lassen sich die Leute 
in Deutschland denn gar nicht beruhigen ? They seem to have a crack, they 
are like mad.‘ Am nächsten Tage hatte ich eine Unterredung mit der lang- 
jährigen Hofdame der Königin Alexandra von England, Miß Charlotte 
Knollys, mit der ich seit vielen Jahren befreundet war. Mit dem praktischen 
Sinn ihres Volkes sagte sie mir: „Was helfen denn alle neuerlichen Zärtlich- 
keiten zwischen dem Onkel und dem Neffen, was helfen auch alle Bemü- 
hungen der beiderseitigen Minister, wenn die Völker sich wie Hund und 
Katze gegenüberstehen ? Der Kaiser sagt immer, in Deutschland käme es 
nur auf ihn an, und alles müsse sich seinem Willen beugen. Ich glaube aber, 
daß, wenn das Volk in Deutschland auch nicht so mitspricht wie in Eng- 
land, man doch mit ihm rechnen muß. Ihre Leute sind ja viel antienglischer, 
als sie antifranzösisch oder gar antirussisch sind. Ich sche hinter allen 
Liebeserklärungen des Kaisers und Ihren gewiß ehrlichen Bemühungen, 
ein näheres Verhältnis zu England herbeizuführen, als realen Faktor ein 
Volk von fünfzig Millionen, das unser schlimmster Feind in der Welt ist. 
Und was den Kaiser angeht, so wissen Sie, daß ich ihn persönlich gern mag, 
sehr gern sogar. Er ist so unterhaltend, so lebendig, so natürlich, he is 
really a good fellow, a very good fellow all around. Aber, Hand aufs Herz, 
ist Verlaß auf ihn? Sprechen wir doch ganz offen als alte, gute F'reunde, 
wie wir zusammen sprachen, als Sie noch nicht Kanzler, sondern ein junger 
Legationssekretär waren. Während des Burenkriegs überfiel Ihr guter 
Kaiser, God bless him, unseren armen Botschafter in Berlin, Sir Frank 
Lascelles, der sich spät zur Ruhe legt und gern bis zehn Uhr schläft, schon 
um 8 Uhr früh, setzte sich an sein Bett und ruhte nicht, bis Lascelles ein 
Telegramm aufsetzte, das einen vom Kaiser entworfenen Feldzugsplan 
gegen die Buren enthielt, der angeblich der sichere Schlüssel zur Vernich- 
tung dieser Leute sein sollte, unter uns gesagt aber a pure nonsense war. 
Lascelles mußte das Telegramm, das einen im gleichen Sinn gehaltenen 
Brief Ihres Kaisers an unsere Königin erläutern und in seiner Wirkung 
verstärken sollte, sofort abgehen lassen. Hinterher hatte er dann die 
Pflicht, bei Regenwetter den Kaiser in Pyjama und Slippers bis an seinen 
Wagen und in die Wilhelmstraße zu begleiten. Einige Zeit später schrieb 
der Kaiser seinem Onkel, wenn ein Birminghamer Football-Club von einem 
Glasgower Football-Club besiegt worden wäre, brüte er nicht Rache, 
sondern man schüttle sich die Hand. So möchten es die Engländer nach 
den von ihnen in Südafrika erlittenen Schlappen auch machen. Der König 
antwortete seinem Neffen, daß der Krieg, den ein großes Reich führe, kein 
Football-Match sei. Ich will gern zugeben, daß Sie und Ihre Regierung ein 
gutes Verhältnis zu England wünschen. Aber Ihr Kaiser ist unberechenbar, 
und Ihr Volk, ein Volk von fünfzig Millionen, haßt uns.“ \ 
Unterredung 
mis 
Miß Knaollys
	        
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