520 DIE DROUHENDE GEFAHR
In- und Ausland war deplorabel. Der streng konservative, kirchlich-
orthodoxe „‚Reichsbote“ wies warnend darauf hin, daß der größte Feind der
Autorität ihre Überspannung sci. Die Autorität Kaiser Wilhelms I. habe
darauf beruht, daß er gegenüber seinen Ratgebern Selbstbeherrschung, in
allem Vernunft und weise Zurückhaltung walten ließ. Fürsten, die solche
Bescheidenheit vermissen ließen, pflegten an den Realitäten des Lebens
zu scheitern und schließlich auf eine unglückliche Regierung zurückzusehen.
Harte und leider prophetische Worte. Die „Times“ sprach in einem ernsten
Artikel die Besorgnis aus, daß durch den Bremer Vorfall das scelische
Gleichgewicht des Kaisers gestört sein müsse, wenn er solchen „nonsense“
rede. Andere englische und amerikanische Blätter sprachen von „moral
insanity“. Die französische Presse erging sich in ridikülisierenden und
persiflierenden Betrachtungen. Ich legte den Artikel des leitenden eng-
lischen Blatts dem Kaiser an erster Stelle vor, da ich wußte, daß die Aus-
lassungen der Londoner Presse ihm einen stärkeren Eindruck machten als
deutsche Zeitungsartikel. Auch die amerikanischen und französischen
Presseurteile ersparte ich ihm nicht.
Wenige Tage später erhielt ich einen Brief des Großherzogs Friedrich
Briefe des von Baden, in dem es hieß: Er müsse mir bekennen, daß ihm die Lage
Großherzogs unserer deutschen öffentlichen Verhältnisse einen Höhepunkt in der Ge-
von Baden fahr erreicht zu haben scheine, der uns zwinge, nötige Schutzmittel für die
Zukunft vorzubereiten. Die Reden des Kaisers bildeten die Gefahr, die er
als eine drohende bezeichnen müsse. Alle kaiserlichen Reden sollten vorher
dem Reichskanzler vorgelegt werden, so daß Korrekturen und etwaige
Milderungen eingeschaltet werden könnten. Andernfalls sei Herabsetzung
der Autorität der Krone, Schädigung ihres Ansehens, allmähliche Erschüt-
terung der monarchischen Ordnung im gesamten Reich, endlich auch eine
ungünstige Beurteilung des Deutschen Reichs durch das Ausland und damit
eine Schwächung des Vertrauens in Deutschlands Macht und Stärke zu
besorgen. Kaiserliche Reden an die Truppenteile sollten überhaupt nicht
veröffentlicht werden. Die Rede an das Alexander-Regiment hätte in den
weitesten Kreisen tiefgehende Verstimmung hervorgerufen, und zwar gerade
in den höheren und erfahrenen Schichten. Gerade weil er, der Großherzog,
die Fähigkeiten des Kaisers hochschätze, wünsche er, daß das Oberhaupt
des Reichs außerhalb der Diskussion bleibe. Nachdem der Großherzog den
Kaiser bei dessen Durchreise durch Karlsruhe gesprochen hatte, schrieb er
mir am 18. Mai 1901: Er danke mir zunächst für die vertrauensvollen Dar-
legungen, die er inzwischen von mir erhalten habe und durch die er einen
vollständigen Einblick in die Wege erhalten hätte, die ich zu gehen geson-
nen sei. Aus den Äußerungen des Kaisers ihm gegenüber hoffe er zu seiner
Freude annehmen zu können, daß der Kaiser meinen Vorstellungen und