Die Feier
in Berlin
528 NUR IN KLEINER UNIFORM
daß möglichst wenig von Bismarck gesprochen werden sollte. Aber er war
selbst von ihm wie hypnotisiert. Er wollte vieles nicht, weil Bismarck es
gewollt hatte. Dann wieder wollte er manches, um es Bismarck gleichzutun.
Er war bemüht, den Bruch mit Bismarck und seine unfreundliche Verab-
schiedung zu rechtfertigen, sie als nützlich, notwendig und richtig hinzu-
stellen. Er kam oft auf diese Verabschiedung zurück. So glich er ein wenig
jenem Studenten in dem berühmten Roman von Dostojewski, dem Ras-
kolnikow, der, ohne es zu wollen, immer wieder zu dem Schauplatz seiner
schweren Tat zurückgetrieben wird. Er war bemüht, der Auffassung Ein-
gang zu verschaffen, daß Bismarck ihm eine „unmögliche Erbschaft“
hinterlassen hätte und daß es seine, des Kaisers, Mission wäre, die durch
Bismarck zerrissenen Fäden neu anzuknüpfen und die Lage Deutschlands
wieder ins Lot zu bringen. Diesem Zwecke, so führte Wilhelm II. gern aus,
dienten seine Reisen, Besuche und Reden. Ich möchte annehmen, daß er
auch heute, in dem melancholischen Haus Doorn, nach seinem Sturz und
nach seiner Flucht innerlich glaubt, er wäre im Begriff gewesen, die ihm
vom Himmel auferlegte schwere Aufgabe zu lösen, als seine Feinde ihn
überfallen und damit alle seine Bemühungen vernichtet hätten.
Als sich der Tag näherte, an dem Bismarcks Denkmal in Berlin enthüllt
werden sollte, ließ mir Wilhelm II. durch Lucanus sagen, er wolle an dieser
Feier unter keinen Umständen teilnehmen, da dies unter seiner Würde
wäre. Der Oberhofmarschall August Eulenburg, der sich ebensowenig wie
ich darüber im Zweifel war, daß ein demonstratives Fernbleiben Seiner
Majestät einen sehr schlechten Eindruck machen würde, arrangierte mir
eine kurze Begegnung mit dem Kaiser am Potsdamer Bahnhof. Die Unter-
redung dauerte kaum zehn Minuten, sie war aber lebhaft. Der Kaiser ent-
ließ mich mit den Worten: „Wenn Sie es durchaus wollen, werde ich kom-
men, aber nur in kleiner Uniform.“ Aus dem Fenster des kaiserlichen
Waggons rief er mir noch zu, er würde keinesfalls selbst sprechen; ich möge
die Rede halten, aber so, daß er damit einverstanden sein könne. Der
Kaiser erschien wirklich zur Feier am 16. Juni 1901 in kleiner Uniform,
begleitet von der Kaiserin, die Bismarck nie geliebt hatte und verstimmt
aussah. Ich stand dem Kaiser gerade gegenüber, auf etwa zwanzig Schritt
Entfernung. Ich sprach*) sehr langsam und deutlich, so daß er mich gut
verstehen konnte, als ich, jedes Wort betonend, darauf hinwies, daß die
Spur der Erdentage des eisernen Kanzlers nie untergehen, daß die Bewunde-
rung und Dankbarkeit für ihn nicht aufhören würden, solange ein deutsches
Herz schlagen, ein deutscher Mund reden, eine deutsche Faust sich ballen
würde. „Dieses Bewußtsein ist heute in Deutschland noch stärker, leben-
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe I, $. 222; Kleine Ausgabe I, S. 246.