BÜLOWS REDE AUF BISMARCK 529
diger und klarer als in den Tagen, wo Fürst Bismarck unter uns weilte.
Sein gigantischer Schatten wird wachsen, je weiter der Lebenstag des
deutschen Volkes vorrückt und je mehr das nationale Urteil ausreift. Bis-
marck hat ausgeführt und vollendet, was seit Jahrhunderten das Sehnen
unseres Volkes und das Streben unserer edelsten Geister gewesen war, was
die Ottonen und Salier und Hohenstaufen vergeblich angestrebt hatten,
was 1813 den Kämpfenden als damals nicht erreichter Siegespreis vor-
schwebte, wofür eine lange Reihe Märtyrer der deutschen Idee gekämpft
und gelitten hatten. Und er ist gleichzeitig der Ausgangspunkt und Bahn-
brecher einer neuen Zeit für das deutsche Volk geworden. In jeder Hinsicht
stehen wir auf seinen Schultern.“ Ich schloß: „‚Dort vor uns liegt die Sieges-
allee. Wenn diese stolze Straße von den Nürnberger Burggrafen bis zum
großen Deutschen Kaiser führt, so verdanken wir es in erster Linie dem
Genius des Mannes, dessen Bild in Erz sich jetzt vor unseren Blicken ent-
hüllen soll, seinem heldenhaften Mut, seiner Arbeit für die Dynastie. Möge
des großen Mannes Name als Feuersäule vor unserem Volke herziehen,
möge sein Geist für immer mit uns sein.“
Meine Frau war bei der Feier zugegen. Ich wünschte im allgemeinen
nicht, daß sie den Sitzungen des Parlaments beiwohnte, wenn die Möglich-
keit vorlag, daß ich sprechen würde. Teils wollte ich nicht, daß aus ihrer
Anwesenheit im Hause und auf der Journalisten-Tribüne der Schluß ge-
zogen würde, ich werde das Wort ergreifen. Andererseits pflegte ich ihr
scherzend zu sagen, ich hätte nicht Lust, mich in ihrem Beisein zu blamieren,
und wünsche nicht, durch anzügliche Reden meiner Gegner meinen Nimbus
in ihren schönen Augen einzubüßen. An der Feier für Bismarck wollte sie
aber gern teilnehmen, begleitet von dem Chef der Reichskanzlei, Wil-
mowski. Als meine Rede sich ihrem Schluß näherte, sagte Wilmowski zu
meiner Frau, ich hätte famos gesprochen, sie möge aber ihre Koffer packen,
denn diese Rede würde der Kaiser kaum schlucken. Als ich geendigt hatte,
kam der Kaiser auf mich zu mit einem so guten und lieben Ausdruck, wie
ich ihn selten bei ihm gesehen habe. Er drückte mir lange die Hand und
sagte mir: „Ihre Worte haben mich im Innersten ergriffen.“ Wie unberechen-
bar war Wilhelm II.! Selbst in Momenten, wo diejenigen, die ihn genau
kannten, bei ihm eine Verstimmung erwarteten, konnte der edle Kern
seines Wesens plötzlich die Oberhand gewinnen. Dann legte er seinen Arm
unter meinen Arm und führte mich zu Herbert Bismarck, drückte auch ihm
die Hand und fragte ihn, ob ich nicht gut gesprochen hätte. „Es ist das Herz
ein trotziges und verzagtes Ding, wer kann es ergründen ?“ klagt Jeremias,
der Sohn Hiskias, aus den Priestern zu Anatboth, im Lande Benjamin.
Nicht lange vor der Enthüllung des Bismarck-Monuments hatte ich von
Herbert Bismarck einen herzlichen Brief erhalten, der mit den Worten
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