Begegnung
mit dem Zaren
in Hela
540 KÜHLER EMPFANG WALDERSEES
Amtszeit der Kaiserin Augusta. Aber er verstand sienicht und unterschätzte
sie. Als Bismarck einmal in den achtziger Jahren endlich eine von allen
Seiten gewünschte und betriebene Audienz bei der damaligen Kron-
prinzessin erreicht hatte und nach seiner Rückkehr von seinem Sohn
Herbert gefragt wurde, wie ihm die hohe Frau gefiele, erwiderte er: „Die
Arme ist ja eine ganz dumme Gans. Sie hat mir die ganze Zeit von ihrer
Tante Feodora von Holstein oder Hohenlohe oder Gott weiß von wo
gesprochen, deren Wünsche sie allein zu interessieren schienen.‘‘ Ein unge-
rechtes Urteil des ausschließlich von seinen eigenen großen Plänen erfüllten
Genies. Wenn ein freundlicherer Stern über ihr gewaltet hätte, würde die
Kaiserin Friedrich in England oder in Deutschland ein glückliches Leben
geführt haben, an der Stätte ihrer Wirksamkeit allgemein verehrt und
bewundert. Zwischen den harten Mühlsteinen bismarckischer Politik und
preußischer Tradition wurde sie zerrieben. Auf ein Beileidstelegramm, das
ich nach dem Tode der Kaiserin Friedrich an ihren Bruder, den König
Eduard, richtete, erwiderte mir dieser: „Ich danke Ihnen von ganzem
Herzen für Ihre Teilnahme. Die teuerste Kaiserin hat Sie und Ihre Frau
immer hoch geschätzt.‘
Nachdem die Beisetzung der Kaiserin Friedrich in der Friedenskirche in
Potsdam stattgefunden hatte, wo sie neben ihrem herrlichen Gemahl, dem
Kaiser Friedrich, in einem von Reinhold Begas ausgeführten schönen
Marmorsarkophage nach so viel Schmerzen, Enttäuschungen und Leiden
die ewige Ruhe gefunden hat, rüstete sich der Kaiser für die Begegnung
mit dem Kaiser Nikolaus von Rußland, der eine Einladung zu dem deut-
schen Marinemanöver angenommen hatte, das in der ersten September-
hälfte auf der Reede von Hela in der Danziger Bucht stattfinden sollte.
Vorher empfing Wilhelm II. noch in Homburg den aus China zurück-
kehrenden Waldersee. Mit erhobenem Haupte schritt der Feldmarschall
auf seinen hohen Gebieter zu. In seinen Zügen lag die gespannte Erwartung,
welcher außerordentliche Gnadenbeweis ihm bei seiner Rückkehr zuteil
werden würde, nachdem er bei seiner Ausreise in noch kaum dagewesener
Weise gefeiert worden war. Nun wollte ein neckischer Zufall, daß WilhelmII.
am Tage vorher von einer seiner englischen Tanten einen Brief erhalten
hatte, wonach Waldersee sich vor seiner Abreise von China englischen
Offizieren gegenüber dahin geäußert hätte, er müsse rasch nach Deutsch-
land gelangen, um dort den Reichskanzlerposten zu übernehmen: Bülow
habe schon ausgespielt. Alssich nun Waldersee auf dem Homburger Bahnhof
dem Kaiser näherte, riefihm dieser schon von weitem zu, er möge sich beimir
bedanken, der ich ihn durch meine geschickte Politik aus der Affäre ge-
zogen hätte. Der ehrgeizige Marschall, der wohl an alles andere eher gedacht
hatte, als sich bei mir noch bedanken zu müssen, sah sehr erstaunt aus,