Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

554 GRANIT 
euch nicht auf, er beißt auf Granit.‘ Als im weiteren Verlauf der Debatte 
der antisemitische Abgeordnete Liebermann von Sonnenberg, einer 
von jenen extremen Alldeutschen, die es geradezu darauf angelegt zu haben 
schienen, überall im Ausland Fensterscheiben einzuwerfen, einen rohen 
Ausdruck über den englischen Kolonialminister gebraucht hatte, ergriff 
ich sogleich noch einmäl das Wort, gab meiner Genugtuung darüber 
Ausdruck, daß der Reichstagspräsident über Herrn von Liebermann die 
parlamentarische Zensur verhängt habe, und erklärte, ich wäre sicher, die 
große, die sehr große Mehrheit des Reichstags auf meiner Seite zu haben, 
wenn ich der Hoffnung Ausdruck gäbe, daß sich nicht die Gewohnheit 
einbürgern möge, von der Tribüne des Deutschen Reichstags aus fremde 
Minister zu beleidigen. Das würde weder den Gepflogenheiten des deutschen 
Volks entsprechen, das ein gesittetes Volk sei, noch den Interessen unserer 
Politik. Ich müsse gleichzeitig mein tiefes Bedauern aussprechen über die 
Art und Weise, wie der Abgeordnete Liebermann über das Heer eines 
Volks gesprochen habe, mit dem wir in Frieden und Freundschaft leben 
wollten. Wenn wir empfindlich wären für jeden Angriff gegen die Ehre 
unseres eigenen Heeres, so dürften wir nicht fremde Heere schmähen, wo 
es auch Männer gäbe, die zu sterben wüßten. Ich fand mit dieser Zurück- 
weisung Beifall auf allen Seiten des Deutschen Reichstags. Ich fand ebenso 
lebhaften Beifall, als ich im weiteren Verlauf der Etatsberatung erklärte, 
ich wolle nicht den mindesten Zweifel darüber lassen, daß ich mich nicht 
zu einer unfreundlichen Haltung drängen lassen würde gegenüber dem 
englischen Volk, dem wir nie feindlich gegenübergestanden hätten, mit 
dem uns zahlreiche und schwerwiegende Interessen verbänden. Durch 
Reden, Resolutionen und Volksversammlungen ließe ich mir die Richtung 
der auswärtigen Politik nicht vorschreiben. Der Kurs unserer auswärtigen 
Politik würde lediglich bestimmt durch das reale Interesse des Landes, und 
dieses weise darauf hin, unter Aufrechterhaltung unserer Würde und Ehre 
friedliche und freundliche Beziehungen mit England zu pflegen. 
Die Haltung unserer Presse und öffentlichen Meinung war bei diesem 
Zwischenfall, wie leider nur zu oft in Deutschland, zwiespältig und 
ohne sicheren Instinkt. Auf der einen Seite konnten einige deutsche 
Blätter die Gefahren eines Zwistes mit England gar nicht laut genug 
betonen, nicht grell genug an die Wand malen. Das wurde natürlich 
von unseren Patrioten schlecht aufgenommen, ermutigte alle unsere 
Gegner im Ausland und machte insbesondere die Engländer noch selbst- 
bewußter und übermütiger, als sie es ohnehin schon waren. Andererseits 
stimmten Synoden und Kriegervereine einen heftigen Lärm an, sie verfielen 
gegenüber Mr. Chamberlain und den Engländern in derartige Übertrei- 
bungen, daß ruhige Beobachter, wie zum Beispiel der Korrespondent der
	        
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