Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER NEUE PRINZ VON WALES IN BERLIN 555 
„Frankfurter Zeitung‘, mein Freund August Stein, sich nicht mit Unrecht 
in einem Irrenhaus wähnten. Ich setzte mich mit dem Kultusminister und 
mit dem Kriegsminister in Verbindung, damit auf die Kriegervereine und 
auf die Synoden energisch eingewirkt würde. Die Bewegung flaute auch 
bald ab. Aber es hatte sich bei diesem Anlaß wieder gezeigt, wie übertrieben 
und unvernünftig antienglisch die Stimmung in Deutschland war und wie 
unerschütterlich selbstbewußt und hochmütig der Engländer. Zwei 
Dezennien sind seit diesem Zwischenfall verflossen. Bei völlig ruhiger, 
objektiver und rein geschichtlicher Betrachtung der ganzen Angelegenheit 
gebe ich auch heute der Überzeugung Ausdruck, daß ich die Abweisung 
des Chamberlainschen Vorstoßes nicht nur der Würde unseres Landes 
schuldig war, sondern daß ich damit auch politisch richtig und im Interesse 
des Friedens handelte. „Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen“, 
pflegte Bismarck zu sagen. Wer auf leichtfertige, völlig unbegründete 
Herausforderungen des Auslands nichts erwidert, wer sich unentschuldbare 
Anremplungen fremder Minister gefallen läßt, der provoziert neue Angriffe 
und erfährt und verdient schließlich dauernd schlechte Behandlung. Als 
viele Jahre später, nach meinem Rücktritt, anläßlich der Entsendung des 
„Panther“ nach Agadir Lloyd George das Deutsche Reich brüskierte, 
schwieg Bethmann Hollweg und steckte diese Ohrfeige ohne Widerspruch 
ein. Acht Wochen darauf sagte mir einer der klügsten italienischen Diplo- 
maten, der aus Paris und London kam: „Die europäische Situation fängt 
an, mich, der ich sie bisher günstig beurteilt habe, ernstlich zu beunruhigen. 
Daß der deutsche Reichskanzler die Sottisen von Lloyd George eingesteckt 
hat, ohne dagegen irgendwie zu reagieren, erweckt in England die Emp- 
findung, Deutschland fühle sich nicht mehr sicher. Noch bedenklicher ist, 
daß seitdem den Franzosen der Kamm gewaltig schwoll.“ Der „esprit 
nouveau“ wurde in dem Augenblick in Frankreich geboren, wo man in 
Berlin die Provokation von Lloyd George ohne Widerspruch hinnahm. 
Zum Geburtstag des Kaisers erschien am 27. Januar 1902 der Prinz von 
Wales in Berlin, im ausdrücklichen Auftrag seines Vaters, des Königs 
Eduard VII., der durch diese Entsendung zeigen wollte, daß die deutsch- 
englischen Beziehungen nach wie vor friedlich und freundlich wären. Nach 
dem Galadiner im Weißen Saal fand im Heinrichssaal ein Bierabend statt. 
Wilhelm II. liebte es, nach feierlichen Hoffesten noch eine gemütliche Aus- 
sprache abzuhalten. Wir hatten uns kaum gesetzt, als der Prinz von Wales 
auf mich zukam, mir die Hand schüttelte und mich frug, ob er sich offen 
mit mir aussprechen könne. Ich hatte es vor wie nach dem Diner vermieden, 
mich Seiner Königlichen Hoheit zu nähern, ließ den hohen Herrn vielmehr 
an mich herankommen. Als der Prinz mich so freundlich und freimütig an- 
redete, erwiderte ich natürlich sogleich, daß ich für eine offene Aussprache 
Gespräch 
Bülows mu 
dem Prinzen 
von Wales
	        
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