Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER DEUTSCHE VETTER 557 
infolge von mancherlei älteren und neueren Vorkommnissen von England 
schlecht behandelt.‘ Ich gab Seiner Königlichen Hoheit einen kurzen Abriß 
der deutsch-englischen Beziehungen vom Krimkrieg und der Austragung 
der schleswig-holsteinschen Frage bis zu Samoa und zur Beschlagnahme 
unserer Postdampfer. Dazu komme das nicht nur in Deutschland, sondern 
in ganz Europa, ja in der ganzen Welt bestehende Mitgefühl für die Buren. 
„Von Haß gegen England, das heißt dem Wunsch, England politisch zu 
schwächen, ist aber bei keinem zurechnungsfähigen Deutschen die Rede. 
Hiervon abgeschen, wird Kaiser Wilhelm II. nie eine England feindliche 
Politik machen, solange ihm von englischer Seite eine für England freund- 
liche Haltung nur irgendwie möglich gemacht wird. Das Schreien und 
Schimpfen der Presse hüben und drüben ist albern, involviert aber keine 
Gefahr für den Frieden, wenn die Regierungen ruhig Blut behalten. Die 
deutsche und die englische Regierung sind vollkommen in der Lage, 
friedliche und freundliche Beziehungen zwischen Deutschland und England 
aufrecht- und die Zukunft für eine intimere Annäherung offenzuhalten.“ 
Der Prinz folgte meinen historisch-politischen Darlegungen mit Interesse, 
stimmte meinen Konklusionen mit Lebhaftigkeit zu und sagte mir schließ- 
lich wörtlich: „Mein Vater hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, daß er Sie 
nach wie vor als seinen Freund betrachtet. Er ist auch überzeugt, daß Sie 
gute Beziehungen zu England ebenso lebhaft wünschen wie er gute Be- 
ziehungen zu Deutschland. Er bittet nur, weitere Rekriminationen über 
das Vergangene zu vermeiden und über die anläßlich meines Erscheinens 
zum Geburtstag meines Vetters, des Kaisers, ausgewechselten Familien- 
briefe nichts in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Wir müssen das Ver- 
gangene vergangen sein lassen und nur daran denken, daß wir in Zukunft 
gute Freunde bleiben wollen.“ Als ich selbstverständlich vollste Diskretion 
und außerdem politisch den besten Willen in Aussicht stellte, verabschiedete 
sich der Prinz von mir mit wiederholtem Händedruck und der Versicherung, 
daß es ihm eine große Beruhigung und Freude gewesen sei, sich mit mir 
aussprechen zu können. 
Wie nach einem heftigen Sturm, auch wenn Poseidon nicht mehr die 
Winde erregt, sich noch längere Zeit die Dünung bemerkbar macht, eine 
Wellenbewegung der See, die eine Nachwirkung des vorhergegangenen 
Sturms ist, so dauerte in England die während des Burenkrieges ent- 
standene oder, richtiger gesagt, durch den Burenkrieg wieder akut gewordene 
Abneigung und Verstimmung gegen den deutschen Vetter noch längere 
Zeit an. Sie trat namentlich bei dem Venezuela-Zwischenfall zutage, als 
Ende November 1902 die englische und die deutsche Regierung gemeinsam 
die von der venezolanischen Regierung hartnäckig verweigerte Zahlung 
der deutschen und englischen Staatsangehörigen geschuldeten Gelder 
Venezuela- 
Zwischenfall
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.