Bericht
des Grafen
Metternich
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eintreiben wollten. Als die Regierung von Venezuela fortdauernd ablehnte,
ihre Verpflichtungen zu erfüllen, wurden der deutsche und der englische
Vertreter abberufen, deutsche und englische Boote nahmen die venezola-
nische „Flotte“, vier kleine Dampfer, in La Guaira weg, ein deutscher und
ein englischer Kreuzer zerstörten ein Fort bei Puerto Cabello. Als Deutsch-
land und England einige Tage später die Blockade von La Guaira be-
gannen, akzeptierte der Präsident von Venezuela, Herr Castro, ein unge-
wöhnlich übler Bursche, das von mir in Vorschlag gebrachte Schieds-
gericht des Haager Gerichtshofes. Die deutsche und die englische Regie-
rung handelten bei diesem Zwischenfall in vollem Einverständnis, mit
voller Loyalität und mit großem Takt. In der englischen Presse erhoben
sich jedoch scharfe, zum Teil wüste Proteste gegen jedes Zusammengehen
mit Deutschland. Die „Times“ erklärte ein solches für unmöglich, da sich
zwar nicht die deutsche Regierung, aber, was viel schlimmer wäre, das
deutsche Volk im Burenkrieg als ärgster Feind Englands gezeigt habe. Der
englische Dichter Rudyard Kipling, ein sehr begabter Poet, für dessen
pittoreske Schilderungen indischer Natur und indischen Lebens, nebenbei
gesagt, Kaiser Wilhelm II. schwärmte, der aber starke demagogische
Instinkte hatte und dessen Hauptbestreben es war, dem „man in the
street‘ zu gefallen, veröffentlichte scharf geschliffene, sehr perfide Verse
gegen eine Kooperation von Deutschland und England, wäre es auch nur
in Venezuela.
Darüber schrieb mir unser neuer Botschafter in London, Graf Metter-
nich, der an die Stelle des am 22. November 1901 verstorbenen Grafen
Paul Hatzfeldt getreten war: „Die Venezuela-Affäre lehrt, daß der während
des Burenkrieges hier gegen das deutsche Volk gesammelte Unwille vor-
läufig noch stärker ist als die Vernunft und das eigene Interesse der Eng-
länder. Die Verblendung, die sich während des Burenkriegs der öffentlichen
Meinung bei uns bemächtigt hatte, ist jetzt über den Kanal gezogen. Auf
der anderen Seite bewährt sich die englische Regierung, die sich durch das
Zusammengehen mit Deutschland entschieden unbeliebt machte, nicht
schlecht. Lord Lansdowne verurteilte scharf das Gedicht von Rudyard
Kipling in der heutigen ‚Times‘. In Zeiten großer Spannung der öffent-
lichen Meinung ist es aber, besonders in England, schwer, auf die großen
unabhängigen Preßorgane, die sich selbst dem Einfluß der englischen Re-
gierung entziehen, einzuwirken. Die englische Presse war nie so feindselig
gegen uns als im vergangenen Jahr, wo bis vor kurzem Eckardstein, der
Minister der Preßbeziehungen, noch hier wirkte. Ich bin weit entfernt da-
von, ihm hieraus den Vorwurf machen zu wollen, daß er es an Diligentia
hat fehlen lassen. Niemand würde dies haben’ändern können, außer wenn
sich die beiden Regierungen seit Jahr und Tag weniger in den Haaren