Ostmarken-
Politik
562 DIE PREUSSISCHEN POLEN
Problemen unserer Ostmark zugewandt. Was ich in meinem während des
Weltkriegs, 1916, in Sonderausgabe erschienenen Buch über „Deutsche
Politik‘‘am Schlusse des Kapitels über die deutsche Ostmarkenpolitik später
sagte, daß ich die Ostmarkenfrage für eine der wichtigsten Fragen unserer
inneren Politik hielt*, wurde mir schon fünfzehn Jahre früherklar, alsich mich
eingehend mit dem Gang dieser Politik beschäftigte und den so gewonnenen
Überblick durch ausführliche Besprechungen mit Männern ergänzte, welche
die Verhältnisse in Posen, Westpreußen und Oberschlesien aus eigener An-
schauung kannten. Unter diesen nenne ich in erster Linie den damaligen
Chef der Reichskanzlei, den Geheimen Rat Conrad, der ein gebürtiger
Westpreuße war, den langjährigen Polizeipräsidenten in Posen Staudy,
den Kultusminister Studt, der viele Jahre im Osten gedient hatte, den
Regierungspräsidenten von Tiedemann in Bromberg und manche andere.
Die Geschichte zeigt, daß deutsche Versuche, die Polen durch Entgegen-
kommen zu gewinnen, diesen Zweck nie erreicht, wohl aber die deutschen
Interessen geschädigt haben. Friedrich Wilhelm III. war nach Wiedererwer-
bung von Posen und Westpreußen seinen polnischen Untertanen mit der
größten Milde entgegengetreten. Ihrer Eigenart wurde weitgehend Rech-
nung getragen, die polnische Landwirtschaft wurde besonders unterstützt,
die Landräte durften gewählt werden und wurden polnisch gewählt, dem
preußischen Oberpräsidenten wurde ein polnischer Statthalter zur Seite ge-
setzt. Die Quittung war der Aufstand von 1830. Die damalige Insurrektion
hatte wenigstens den Vorteil, daß neue Männer im Osten an die Spitze
gestellt wurden, von denen die Namen des Generals von Grolman und
des Oberpräsidenten von Flottwell in der deutschen Geschichte stets einen
ehrenvollen Klang behalten werden. Sie hatten aber nur zehn Jahre Zeit,
im Osten deutsche Politik zu treiben. Als Friedrich Wilhelm IV., der in
seiner romantischen Art für die Staatsräson weniger Verständnis besaß als
sein nüchterner Vater und der den ‚„‚Racker von Staat“, wie er ihn nannte,
eigentlich höchst unsympathisch fand, der den trefflichen Oberpräsidenten
von Flottwell strafweise von Posen nach Magdeburg versetzte und wieder
zu dem mißlungenen Kurs zwischen 1815 und 1830 zurückkehrte, eine
sogenannte „nationale Reorganisation‘ Posens und Westpreußens unter-
nahm, machte diese Politik nochmals ein völliges Fiasko, schon bevor das
Jahr 1848 der großpolnischen Agitation die erwünschte Möglichkeit bot,
ihre wahren Ziele und Gefühle an den Tag zu legen.
Ein neuer Umschwung, eine neue Wendung zum Guten trat erst wieder
ein, als Bismarck, auch auf diesem Gebiet wie auf so vielen anderen an
die Traditionen des großen Königs anknüpfend, mit dem fundamentalen
* Fürst von Bülow, „Deutsche Politik‘, Volksausgabe, S. 243,