Wilhelm II.
auf der
Marienburg
568 WILHELM II. UND DAS JOHANNITERKAPITEL
den Radziwill und Genossen dringend geraten, zunächst in dem eigenen
schmutzigen Hause zum Rechten zu sehen. Möge, so schließen alle Betrach-
tungen, die preußische Regierung hart bleiben und niemals wieder über
schwächliche Rückfälle Klage zu führen sein.“
Der Kaiser, der gar zu gern Feste feierte, am liebsten Feste mit histori-
schem Hintergrund, denn seine Begeisterung für geschichtliche Größe war
echt, hatte beschlossen, am 5. Juni 1902 in der herrlichen Marienburg ein
feierliches Kapitel des Johanniterordens abzuhalten. Er legte besonderes
Gewicht darauf, daß ich diesem Kapitel beiwohnen möchte, und zwar in
der prächtigen Johanniteruniform, die er selbst anlegen wollte. Wer Wil-
helm II. nicht im persönlichen Verkehr gekannt hat, kann sich schwer eine
Vorstellung davon machen, wie groß der Charme war, den er durch seine
Natürlichkeit und Herzlichkeit im täglichen Umgang ausübte, ein Zauber,
der um so stärker wirkte, als er unabsichtlich war. Der im guten Sinne naive
Zug in der Art des Kaisers, sich zu geben, machte ihn für seine Freunde und
Diener ebenso anziehend, wie er Fremden und Gegnern gegenüber politisch
für den Monarchen eine Gefahr bildete. Vor dem Beginn des feierlichen
Gottesdienstes in der Marienkapelle des Schlosses kam der Kaiser in mein
Zimmer, um sich de ses yeux von der Korrektheit meiner Johanniteruniform
zu überzeugen. Als er meinen langjährigen italienischen Kammerdiener,
den er gut kannte, weil er mich auf allen unseren Reisen begleitete, und mit
dem er gern scherzte, frug, wie er mich als Johanniter fände, meinte dieser:
„Il cancelliere e magnifico, somiglia a un antico romano del Trastevere.“
Meinem biederen Cameriere, der in den Sabinerbergen geboren war, er-
schien ein alter Römer, noch dazu aus dem volkstümlichen Quartier jenseits
des Tiberflusses, dem Trastevere, als der Inbegriff aller Pracht.
Der Kaiser empfing am Vormittag den zu seiner Begrüßung von
russischer Seite entsandten Generalgouverneur von Warschau, den General
der Kavallerie und Generaladjutanten Tschertkow, einen typischen
russischen General der alten Schule, der ihm so gefiel, daß er eine schöne
Ansprache an ihn improvisierte, in der er ungefähr ausführte: Seine Be-
ziehungen zu Rußland seien so innige, daß er beschlossen habe, Posen als
Festung aufzugeben, denn gegen einen Freund wie den Zaren bedürfe er
keines militärischen Schutzes. Der alte Russe, der wie seine ganze Gene-
ration eine gute Dosis Pfifigkeit besaß, meinte hernach zu mir, den er aus
St. Petersburg kannte: „Sa Majest& l’Empereur a parl& comme Ciceron,
mais, entre nous, ce qu’il m’a dit sur Posen ne tient pas debout. Posen ne
vaut plus rien comme forteresse et vous construisez d’autres forteresses qui
remplacent Posen avantageusement.“
Mit meinem alten Regimentskameraden und langjährigen Freund, dem
Grafen August von Dönhoff-Friedrichstein, machte ich einen Rundgang