„ZÜCHTIGUNG DER SARMATEN“ 569
um die Marienburg, wobei wir auf einem Turm eine alte Fahne mit dem
Dönhoffschen Wappen entdeckten, dem schwarzen wilden Eberkopf mit
emporstehenden Borsten. Sie stammte aus der traurigen Zeit, wo ein großer
Teil jener deutschen Geschlechter, die einst mit dem Deutschen Orden nach
Ostland gefahren waren, sich den Polen angeschlossen hatte. Wir begeg-
neten uns in dem Wunsch, daß die Marienburg nie wieder solche Zeiten
deutschen Niedergangs und deutscher Ohnmacht sehen möge, ohne zu
ahnen, daß schon um diese Zeit in Potsdam als Oberpräsident der unglück-
selige Mann saß, der vierzehn Jahre später Polen wiederherstellen und
damit dem Deutschtum der Ostmark die schwerste Wunde schlagen sollte.
Bei dem Prunkmahl, das er am 5. Juni 1902 im großen Remter der
Marienburg gab, hielt Wilhelm II. eine Rede, deren Schwung und Feuer
selbst Lucanus und mich überraschten, die wir in dieser Beziehung schon
manches erlebt hatten. Der Kaiser erinnerte seine verehrten Brüder vom
Orden St. Johannis daran, daß in der Geschichte des Ordens wie in keiner
anderen der Finger der Vorsehung zu erblicken sei. Als der Orden im Hei-
ligen Lande seine dort unfruchtbare und aussichtslose Mission aufgegeben
hätte (das war eine Liebenswürdigkeit für den Sultan und den Islam),
wären die Ritter mit dem schwarzen Kreuz auf weißem Mantel nach der
Weichsel gezogen. Und nun folgte ein feuriger Aufruf an die Johanniter,
den Kaiser in seinem Kampf gegen die Polen zu unterstützen. Derselbe
Monarch, der meiner wohlüberlegten und stetigen Ostmarkenpolitik oft
zweifelnd und zögernd, gelegentlich ablehnend gegenüberstand und der im
Weltkrieg unter Bethmann Hollwegschem Einfluß Polen wiederherstellte,
forderte am 5. Juni 1902 die um ihn Versammelten, durch und durch ehren-
werten, aber in der Mehrzahl schon bejahrten und wohlbeleibten Ordens-
ritter auf, mit dem Ordensschwert in der nervigen Faust auf die Sarmaten
einzuhauen, deren Frechheit zu züchtigen, sie zu vertilgen. Wie so oft vor-
her und nachher, untersagte ich dem anwesenden Vertreter des Wolffschen
Telegraphenbüros, die Rede Seiner Majestät im Wortlaut zu veröffentlichen,
und entwarf rasch auf der Rückseite meiner Tischkarte eine neue, feste,
aber würdige und ruhige, in keiner Weise exzentrische Ansprache. Diesmal
tat Eile not, denn kaum eine halbe Stunde nach Aufhebung der Tafel wollte
der Kaiser nach Potsdam zurückkehren. Ich näherte mich ihm mit meinem
Entwurf, gefolgt von Lucanus. Als ich meine Fassung vorlas, überkam den
Kaiser ein ganz großer Zorn. Er bestand namentlich auf der „Züchtigung
der Sarmaten‘‘, obwohl ich ihm vorstellte, daß dies die Russen beleidigen
würde, da sie die Brandmarkung der Sarmaten auf sich beziehen könnten.
Wir stritten eine Weile über die alten Sarmaten, ob sie ihren Wohnsitz an
der Weichsel oder am Don gehabt hätten. Der Kaiser berief sich auf
Herodot, ich aber auf Strabo. Schließlich meinte Seine Majestät: „Meine