Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Unveränderte 
Erneuerung 
des Dreibunds 
578 DER DREIBUND 
Zeiten. Es war einer der schönsten Tage meines Lebens. Vor uns das 
„Paradies des Rheins‘, das Siebengebirge. Aus dem Strom erhob sich der 
Fels, wo Siegfried den Drachen schlug. Gegenüber ragten die Ruinen von 
Rolandseck, wo Roland um die schöne Hildegard trauerte. Zwischen 
Rolandseck und dem Drachenfels lag mitten im Rhein ruhig und freundlich 
mit ihren Ulmen, Pappeln und Weiden die Insel Nonnenwerth, auf der das 
Kloster stand, in das Hildegard sich von der Welt zurückgezogen hatte, 
um nur dem Himmel zu leben. Diesen Strom umkreist mit mächtigem 
Flügelschlag die deutsche Sage, er mahnt an Roland und an Siegfried, er 
mahnt aber auch an Ernst Moritz Arndt, an den Reichsfreiherrn vom 
Stein, an den alten Blücher, der in der gesegneten Neujahrsnacht 1814 
den Rhein überschritt. Der Strom, an dem sich immer wieder die Schick- 
sale des deutschen Volkes entscheiden, der nationale Strom, wo jetzt fran- 
zösischer Übermut sich breitmacht, der Strom, nach dem sie sich gleich 
gierigen Raben lange, aber vergeblich heiserschrien, bis sie ihm jetzt, 
schwarze und weiße Barbaren, ihr Joch aufzwangen. Dieses Joch zu 
brechen, sei der erste und letzte Gedanke jedes Deutschen, der diesen 
Namen verdient! 
Im Hochsommer 1902 mußte die Erneuerung des Dreiverbandes er- 
folgen. Sowohl in Wien wie in Rom trat die Tendenz hervor, bei dieser 
Gelegenheit den Dreibund zu modifizieren. In Wien bestand der Wunsch, 
Deutschland möge sich für den Fall österreichischer Differenzen einerseits 
mit Rußland, andererseits mit den Balkanstaaten noch fester und detail- 
lierter an die habsburgische Monarchie binden als bisher. In Italien 
wünschte man umgekehrt die durch den Dreibund auferlegten Verpflich- 
tungen abzuschwächen. Ich wollte die Erneuerung des Dreibunds in ganz 
unveränderter Form, nicht nur wegen des Eindrucks auf die Welt, sondern 
auch als Zaun für unsere Alliierten. Ich war mir längst im klaren darüber, 
daß die Wiener Politik mit dem deutschen Pfund auf der Balkanhalbinsel 
gern noch ergiebiger und ungenierter gewuchert hätte als bisher und daß 
im österreichischen Generalstab die Tendenz bestand, bei passender Ge- 
legenheit, sei es gegen das in Wien traditionell verhaßte Italien, sei es gegen 
die namentlich von den Ungarn teils verachteten, teils mit Mißtrauen 
beobachteten Serben und Rumänen, eine Attacke zu reiten. Ich wußte 
ebensogut, daß umgekehrt die Italiener sich tunlichste Freiheit der Ent- 
schließung zu wahren, daß sie sich für alle Fälle zu sichern suchten, daß sie 
möglichst viele Eisen im Feuer zu haben traditionell bestrebt waren. Wer 
die Berichte der venezianischen Gesandten und die Instruktionen der 
päpstlichen Cancelleria während des fünfzehnten und sechzehnten Jahr- 
hunderts liest, wird erfüllt mit Bewunderung für die dort niedergelegte 
politische Klugheit. Er wird aber gleichzeitig nicht im Zweifel darüber
	        
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