Tod
Alfred
Krupps
584 „DER KAISER SCHLÄFT NICHT MEHR SO GUT“
Mit dem Kaiser hatte ich die ernsteste Auseinandersetzung, die ich seit
der ominösen Bremerhavener Rede mit ihm führte. Er wurde schließlich
sehr weich. Ich hielt es aber für meine Pflicht, nicht lockerzulassen, denn
Sicherheit und Zukunft des Reichs hingen von der Unantastbarkeit seiner
föderativen Grundlagen ab. Gerade Bayern mußte mit Behutsamkeit und
mit Takt behandelt werden. Als ich immer wieder auf die Angelegenheit
zurückkam, sagte mir schließlich die gute Kaiserin, die viel zu verständig
war, um die Swinemünder Depesche nicht zu beklagen, die aber in ihrer
zärtlichen J.iebe für ihren Gemahl ihn nicht leiden sehen konnte: „Um
Gottes willen, hören Sie endlich auf! Der Kaiser schläftnicht mehr so gut wie
sonst.“ Ich hatte soeben dies immerhin anerkennenswerte Resultat erreicht,
als der Zufall einen bekannten süddeutschen Professor an die kaiserliche
Tafel führte. Dieser Biedermann hatte kaum Platz genommen, als er, zum
Kaiser gewandt, diesem „aus vollem Herzen“ zu der „herrlichen“ Swine-
münder Depesche gratulierte, die ganz Süddeutschland begeistert hätte.
„Das ist ja sehr interessant!“ rief freudig bewegt der Kaiser. „Und wegen
dieser Depesche liest mir mein Kanzler die Leviten.‘“‘ Wenn Wilhelm II.
nicht selten politisch gesündigt hat, so ist durch Liebedienerei und Schmei-
chelsucht noch viel mehr an ihm gesündigt worden. „Du sublime au ridicule
il n’y a qu’un pas“, wiederholte Napoleon I. immer wieder seinem Ge-
sandten in Warschau, dem Abbe de Pradt, als er auf der Flucht aus Ruß-
land bei ihm eintraf. Als der Ministerpräsident Graf Crailsheim während
der durch die Swinemünder Depesche hervorgerufenen Krise, die ihn
schließlich verschlingen sollte, bei einem Diner in der preußischen Gesandt-
schaft in München neben der Gattin des Gesandten, der Gräfin Gisela
Pourtales, saß, frug ihn die hübsche und liebenswürdige, aber politisch
ahnungslose Dame, ob er wirklich, wie man ihr erzählt habe, eine Villa in
Swinemünde gekauft hätte, um dort seinen Lebensabend zu beschließen.
Der immer würdige, aber steife Graf Crailsheim, der anfänglich glaubte, die
preußische Gesandtin wolle ihn verhöhnen, war peinlich berührt, bis das
ehrliche Erstaunen und die aufrichtige Betrübnis der scharmanten Gesandtin
ihm keine Zweifel darüber ließen, daß sie den boshaften Witz eines Geg-
ners des Ministerpräsidenten für bare Münze gehalten hatte.
Am 22. November 1902 starb plötzlich Alfred Krupp, der Sohn des
genialen Begründers der bedeutendsten Gußstahlfabrik der Welt. Der
Firma Krupp gehörten neben der Gußstahlfabrik in Essen die von ihr
angekaufte früher Grusonsche Maschinenfabrik und Gießerei in Buckau,
die Germaniawerft in Kiel, das Stahlwerk in Annen, die Saynerhütte, drei
Kohlengruben, vier Hochofenanlagen und über 500 Eisensteingruben. Das
Kruppsche Unternehmen hatte längst die Schneiderschen Eisen- und
Maschinenwerke in Creusot überflügelt, die der Stolz Frankreichs waren.