DER NERVÖSE KRUPP 585
Krupp hatte Ansehen und Ruhm deutscher Industrie und deutscher Arbeit
über die ganze Welt verbreitet, die uns um dieses gewaltige Unternehmen
beneidete. Vielleicht noch ehrenvoller war die großzügige, kaum irgendwo
erreichte Art, in der von der Firma durch Krankenhäuser, Konsumanstal-
ten, Haushaltungs- und Industrieschulen, Beamten- und Arbeiterhäuser
für Angestellte und Beamte gesorgt wurde. Das war Sozialpolitik, das war
praktisches Christentum! Im Gegensatz zu seinem Vater, dem willens-
starken, knorrigen und kantigen Begründer des Riesenwerks, einer wahren
Herrschernatur, war Alfred Krupp ein kränklicher Mann, cher empfindlich,
nervös, etwas weich. Das Kruppsche Unternehmen war der Sozialdemo-
kratie seitlangem ein Dorn im Auge, gerade weildie Arbeiter und Angestellten
zufrieden waren. Ferdinand Lassalle hatte das berüchtigte Wort geprägt:
„die verdammte Zufriedenheit“. Von Miquel wurde erzählt, daß er als
Student, damals in jugendlichem Unverstand zu kommunistischen An-
schauungen neigend, in Wiesbaden einem Freund, der einem Bettler einige
Kreuzer schenken wollte, mit den Worten in den Arm gefallen wäre:
„Halte doch den sozialen Umsturz nicht auf.“ Was die Leitung der Sozial-
demokratie besonders ärgerte, war, daß die Kruppschen Arbeiter in ihrer
großen Mehrheit bei den Wahlen nicht für den sozialdemokratischen Kan-
didaten stimmten.
Einige Wochen vor dem Tode von Alfred Krupp hatte der „Vorwärts“
einen Artikel gebracht, in dem erzählt wurde, Krupp habe sich während
eines Aufenthalts in Capri gegen $175 des Strafgesetzbuches vergangen
und sei deshalb aus Italien ausgewiesen worden. Die italienische Regierung
hatte diese Behauptung sofort und spontan dementiert, und Krupp erhob
Klage gegen den „Vorwärts“ wegen Beleidigung. Bald nachher starb Krupp,
kaum achtundvierzig Jahre alt. Das Gerücht, Krupp habe selbst seinem
Leben ein Ende gesetzt, ist unbegründet, sicher dagegen, daß der zur
Melancholie neigende, allzu fein besaitete, dazu schwer herzleidende Mann
infolge der Aufregung über die gegen ihn lancierten Verleumdungen rasch
hintereinander zwei Schlaganfälle erlitt. Gleichzeitig stellte sich heraus,
daß diese Verleumdungen von einer süditalienischen Erpresserbande
erfunden worden waren, die hoffte, auf diese Weise dem deutschen Nabob
einige Millionen zu entreißen. Es stand außer Zweifel, daß der „Vorwärts“
sich über die Unwahrheit der von ihm verbreiteten Beschuldigungen völlig
im klaren gewesen war. Wenn das Vorgehen des „Vorwärts“ von einer auch
im schärfsten politischen Kampf nie zu entschuldigenden Roheit des Ge-
müts und Gemeinheit der Gesinnung zeugte, so war fast noch widerlicher
die Heuchelei, mit der das leitende sozialdemokratische Blatt seinen Vor-
stoß damit zu entschuldigen suchte, daß es ihm nur darum zu tun gewesen
wäre, auf diese Weise die Notwendigkeit. der Aufhebung des $175 zu erweisen,