Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

XXXVIL KAPITEL 
Konfessionelle Verträglichkeit + Der Zwischenfall von Trier und Bischof Korum + Kron- 
prinzessin Luise von Sachsen - Zweite Beratung des Zolltarifs - Lüngste Sitzung des 
Reichstags (13. XII. 1902) -. Bülow lehnt Erhebung in den Fürstenstand ab » Die 
Swinemünder Depesche im Reichstag (19. I. 1903) - Domdekan Schädler » Erste Stel- 
lungnahme zu Reden und Äußerungen des Kaisers - Rücktritt des Grafen Crailsheim 
Unterredung mit dem Sozialistenführer von Vollmar » Die Führer der Konservativen, 
des Zentrums und der Nationalliberalen werden beim Reichskanzler wegen der [ort- 
gesetzten kaiserlichen Entgleisungen vorstellig - Bülows Brief an Wilhelm II. 
T: hatte schon in der Polendebatte mit Nachdruck hervorgehoben, daß 
ich es als eine meiner wichtigsten Aufgaben betrachtete, den Frieden Keine kon- 
zwischen den beiden großen christlichen Konfessionen aufrechtzuerhalten. fessionellen 
Ich verstehe die Auffassung derer, die beklagen, daß im 16. Jahrhundert Konflikte 
nicht das ganze deutsche Volk sich der neuen Lehre zugewandt hat. Kein 
Geringerer als Napoleon I. hat gesagt, Kaiser Karl V. hätte einen der größten 
Fehler der Weltgeschichte begangen, als er sich nicht an die Spitze der 
Reformationsbewegung gestellt habe. Ich kann mich auch sehr wohl in den 
Standpunkt derjenigen hineindenken, die umgekehrt die Kirchenspaltung 
beklagen und wünschen, daß Deutschland wie manche andere Länder, wie 
Italien, Spanien, Belgien, überwiegend auch Frankreich, im Schoße der 
alten Kirche geblieben wäre. Die Politik muß aber mit den gegebenen Ver- 
hältnissen rechnen. Die konfessionelle Spaltung ist eine Tatsache, an der 
sich nicht rütteln läßt. Sie hat in der Vergangenheit so viel Unheil über 
Deutschland gebracht, daß es verbrecherisch wäre, nicht in jeder Weise 
auf Versöhnlichkeit unter den Konfessionen, auf ihre „unitas in neces- 
sariis‘“ binzuarbeiten. Bei der Unverträglichkeit und Starrheit des Deut- 
schen ist das nicht ganz leicht. Während des Weltkriegs wurde im Trocadero 
in Paris ein großes Fest veranstaltet, bei dem nacheinander der katholische 
Erzbischof von Paris, ein lutherischer und ein reformierter Geistlicher, 
ein Rabbiner und ein Imam patriotische Ansprachen hielten. Als das 
Publikum diesen Reden Beifall spendete, traten sie alle fünf vor die Rampe. 
Der Erzbischof in der Mitte hielt mit der Rechten die Hand des Lutheraners, 
mit der Linken die des Calvinisten. Der letztere hielt den Rabbiner bei der 
Hand, der Lutheraner den Moslem. Das Publikum erhob sich und stimmte
	        
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