Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

590 DIE EHEIRRUNG 
nur seine gar zu ausgesprochen sächsische Mundart, sondern auch die Unbe- 
holfenheit seines Wesens und die läppische Art seiner Fragen und Bemer- 
kungen einen so komischen Anstrich gaben, daß cs schwer war, ihm gegen- 
über den Ernst zu bewahren, der sich für den Reichskanzler im Verkehr mit 
Bundesfürsten ziemt. Acht Tage später erschien am frühen Morgen der 
sächsische Gesandte Graf Wilhelm Hohenthal bei mir, um mir mit äußerster 
Bestürzung mitzuteilen, daß die Kronprinzessin Luise mit dem Hauslehrer 
ihrer Kinder, einem Belgier namens Giron, nach Genf durchgegangen wäre. 
Der Kronprinz Friedrich August, vertraute mir der Gesandte weiter an, 
der seine Frau nach wie vor zärtlich liebe, würde ihr herzlich gern verzeihen. 
Sie hätte sich aber schon mit Giron in ihrem gemeinsamen Genfer Schlaf- 
zimmer en deshabille für eine Pariser illustrierte Zeitung photographieren 
lassen. Nachdem die Frau Kronprinzessin ihre Eheirrung in so kecker Weise 
affichiert hatte, erschien die vom Kronprinzen lebhaft gewünschte Wieder- 
vereinigung der beiden Gatten kaum möglich. Der leidige Vorfall hat noch 
lange nachgewirkt und der sächsischen Dynastie sehr geschadet. Das Volk 
in Dresden und in ganz Sachsen nahm mit großer Wärme für die Prinzessin 
Partei, für „‚unsere Luise“, wie man sie nannte. Sie war in Sachsen beliebt, 
weil sie sich weniger steif und hochmütig gab als ihr Schwiegervater, der 
König Georg, und ihre sehr unbeliebte Schwägerin, die Prinzessin Ma- 
thilde, die, übrigens ohne Grund, „Schnaps-Mathilde‘“ genannt wurde. 
Zur Popularität der Kronprinzessin Luise trug auch bei, daß sie nicht für 
ultramontan galt. Während der weise König Albert ebenso wie sein Vater, 
der König Johann, die Empfindungen seines ganz überwiegend evangelischen 
Volkes in dieser Beziehung immer sorgsam geschont hatte, galt sein Bruder 
und Nachfolger Georg für klerikal, und auch der gute Friedrich August und 
dessen geradezu verhaßter, weil allzu hochmütiger Bruder Johann Georg 
standen in diesem Ruf. Am ärgsten trieb es in dieser Beziehung die Schwester 
des Königs Friedrich August, die Prinzessin Maria Josefa, als Gattin des 
liederlichen Erzherzogs Otto, dessen Unsittlichkeit schließlich patholo- 
gische Formen annahm, und Mutter des einfältigen und dazu noch ver- 
räterischen Kaisers Karl. Sie hat durch ihre borniert antideutsche Gesin- 
nung während des Weltkriegs in Wien sehr geschadet. Die Söhne des Königs 
Friedrich August und seiner so traurig entgleisten Gemahlin hatten die 
Lebhaftigkeit und Liebenswürdigkeit ihrer Mutter geerbt, affichierten ihre 
ausgesprochen katholischen Gefühle aber demonstrativer, als dies gerade in 
Sachsen taktvoll und nützlich war. Die Eheirrung der Kronprinzessin Luise 
mit ihren Folgen hat sehr erheblich dazu beigetragen, daß Sachsen immer 
mehr zur Hochburg der Sozialdemokratie und zum „roten Königreich“ 
wurde. Kaiser Wilhelm bewährte sich während dieser Prüfung des Dres- 
dener Hofes als dessen wahrer Freund. Auf Wunsch des Königs Georg
	        
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