Monts über
Berlin 1896
38 KEINE WAHREN FREUNDE
macht einen sehr angenehmen und gescheiten Eindruck. Vivat die Gens
Bülow! Mit diesem Rufe, herzlichstem Gruß und angelegentlichster Emp-
fehlung an Ihre Frau schließe ich diesen italienischen Salat, den ich, immer
wieder unterbrochen, schnell zusammenschmieren mußte. Ihr treuer
Monts.“
Über die Eindrücke, die er bei einem zweiten kurzen Besuch in Berlin
empfangen hatte, schrieb Monts am 27. März 1896: „S. M. begrüßte mich
sehr flüchtig, der Kanzler dagegen lang und eingehend, immer der alte,
klare, ruhige, leidenschaftslose Kopf. Nur stöhnt er etwas über den Kaiser
und die Last der Geschäfte. Im Amt hat Holstein völlig die Führung. Seine
Arbeitskraft ist bewunderungswürdig. Leider nur steigert sich beinahe
seine Nervosität und Empfindlichkeit. Seine Beziehungen zu Alexander
Hohenlohe, dem nächsteinflußreichen Manne, sind wieder regulär, doch
scheint letzterer sich selbst und dadurch seinem Vater manche Feinde durch
etwas zu nonchalantes Wesen und zu sehr zur Schau getragene Mißachtung
des Mandarinentums zu verschaffen. Mumm (Extradry) schwamm auf dem
Nil, Pourtalös etwas zu sehr in Diners und eigener Größe, Klehmet bienen-
fleißig, aber höchst mittelmäßiger Kopf. Rotenhan scheint Anwandlungen
von Selbständigkeit zu zeigen, die aber niemand ernst nimmt. Einstweilen
zählt er des alten Otto Bülow Tage, um dann beim Vatikan die Dinge völlig
zu verfahren. Marschall ist sehr gehoben durch seine parlamentarischen
Erfolge. Wie er mit Holstein zur Zeit steht, konnte ich leider nicht ermit-
teln. Schwer drückt auf Holstein die geringe Gunst Imperatoris. Soweit das
Amt. Viel ungünstiger waren meine sonstigen Eindrücke. Die Gesellschaft
zeigt das Bild der Zersetzung, die mannigfachen Unklugheiten des Kaisers
zeitigen jetzt ihre Früchte. Er hat außer dem eigentlichen Hofgesinde und
den militärischen Höflingen leider gar keine wahren Freunde, und diese
sind danach. Durch die ungleiche Behandlung der Princillons hat der Kai-
ser sich nun auch den letzten Rest der Sympathie des hohen Adels ver-
scherzt. Der agrarische Kleinadel, schon an sich tief verbittert, ist durch
gelegentliche soziale Rücksichtslosigkeiten noch mehr verstimmt. Die Welt
der jüdischen Kommerzienräte ist durch das reaktionäre Treiben, die Fröm-
melei, sehr verletzt. Das Beamtentum kann nicht florieren, wenn Männer
wie Bötticher immer noch weitergeschleppt werden und offener Wider-
stand gegen die Maßregeln des Ministeriums geheimen, aber mächtigen
Rückhalt an allen möglichen einflußreichen reaktionären Berliner Persön-
lichkeiten findet. Und doch gibt es unter den Berliner Geheimen Räten
nach wie vor vortreffliche Männer, denen nur die Vorgesetzten und der
Parlamentarismus die Flügel beschneiden. Nicht schön ist endlich die Stim-
mung in militärischen Kreisen. In der Garde hat man das Gefühl, lediglich
Spielzeug zu sein. An der Befähigung der höheren Führung tauchen