Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE KOCHENDE VOLKSSEELE 599 
Politik zu verdammen, und die überhaupt gern von ihrer „völkerverbin- 
denden Kraft‘ sprach, hetzte während und nach dem Burenkrieg gegen die 
Engländer. Auch der sonst verständigere Vollmar warf mir vor, daß meine 
Politik während des Südafrikanischen Krieges nicht in Übereinstimmung 
mit dem „Volksempfinden“ gestanden hätte. Ich mußte ihn und mit noch 
größerem Nachdruck den Antisemiten Liebermann von Sonnenberg daran 
erinnern, daß auswärtige Politik nicht mit dem Herzen, sondern mit dem 
Kopf gemacht würde, und verteidigte den Nichtempfang der Burengenerale, 
die kurz vorher in Berlin eingetroffen waren. Die Stimmung in Berlin war 
noch so antienglisch, daß der Gasthof, wo der General de Wet und seine 
beiden Kameraden abgestiegen waren, den ganzen Tag von einer Volks- 
menge umlagert war, die andächtig „Die Wacht am Rhein“, das Lied von 
der festen Burg und Jas Lied „Deutschland, Deutschland über alles‘ sang. 
Wenn ich mich nicht täusche, so hat der damals von den Berlinern gefeierte 
Burengeneral später im Weltkrieg auf englischer Seite gegen uns gefochten. 
Ich rechnete mit der Unvernunft der Alldeutschen ab, denen ich, und über sie 
hinaus vielen Deutschen, bei diesem Anlaß sagte, daß Grobheit nicht Würde 
und Kratzbürstigkeit nicht Festigkeit wäre. Jeder Kaufmann wisse, daß 
Geschäfte nicht notwendig mit schlechter Manier geführt zu werden 
brauchen. Chauvinismus und Vaterlandsliebe wären nicht identische Be- 
griffe, ein ewiges Drohen und Schelten und Schimpfen gegenüber dem Aus- 
land seinoch kein Beweis für richtiges Nationalbewußtsein. Wenn die Kunst 
eines auswärtigen Ministers lediglich darin bestünde, von Zeit zu Zeit mit 
der Faust auf den Tisch zu schlagen, dann könnte mancher Minister des 
Äußern sein. Wir sollten nicht den Renommisten und Großsprecher spielen, 
sondern, wie das gute deutsche Art sei, den ruhigen und festen Mann, der 
ohne unnötiges Maulheldentum sich und die Seinigen schützt. Die All- 
deutschen haben, wie ich heute hinzufüge, durch ihre Übertreibungen, ihre 
Taktlosigkeit und ihren völligen Mangel an politischem Urteil uns sehr ge- 
schadet. Ich gebe zu, daß sie weniger aus Bosheit sündigten als aus jener 
naiven Einfältigkeit, die der deutsche Politiker nur zu oft an den Tag legt. 
Die bedauerlichste Folge der Swinemünder Depesche war, daß sie 
schließlich doch zum Rücktritt des Grafen Crailsheim führte, der ein Staats- 
mann war. Das sagte mir am Tage, wo der Rücktritt des Grafen Crailsheim 
bekannt wurde, kein anderer als der Zentrumsmann und spätere bayrische 
Ministerpräsident und deutsche Reichskanzler Hertling. Den unmittel- 
baren Anlaß zum Sturz des Grafen gab Schädler durch eine bei einer Volks- 
versammlung in München gehaltene Rede, in der er mit lächerlicher 
Nichtempfang 
der 
Burengenerale 
Rücktritt 
Crailsheims 
Übertreibung von der „kochenden bayrischen Volksseele‘ sprach. Diese _ 
gute Volksseele hat während der Ära Eisner noch ganz anderen Anlaß 
zum „Kochen“ gehabt. Meine Verlesung des kaiserlichen Marginals über
	        
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