Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

620 DAS KONKLAVE 
ständen war die Frage, an welchem Orte der neue Papst sich dem Volke 
zum erstenmal zeigen solle, um es zu segnen. Bekanntlich geschah dies 
vor 1870 von der nach dem Petersplatze führenden äußeren Loggia aus. 
Leo XIII. aber erteilte auf den Rat einiger Kardinäle den Segen von der 
inneren, nach der St.-Peterskirche führenden Loggia, um damit sofort seine 
Stellungnahme zu der neuen politischen Ordnung in Rom zu kennzeichnen. 
Es erschien nun den Kardinälen jetzt nicht rätlich, daß der Nachfolger 
Leos XIII. von dieser Handlungsweise abweiche, um nicht unerfüllbare 
Hoffnungen auf der einen und Argwohn auf der anderen Seite zu erregen. 
Inzwischen hatten die italienischen Kardinäle Zeit, sich über die 
Wahl eines Nachfolgers Leos XIII. zu verständigen. Es hatten sich ver- 
schiedene Gruppen gebildet, deren stärkste den Kardinal Rampolla be- 
günstigte. Andere Kandidaten waren Serafino Vannutelli, di Pietro und 
Gotti. Den fremden Kardinälen blieb nichts übrig, als auch ihrerseits den 
Versuch zu machen, Gruppen zu bilden und sie möglichst zu verstärken. Es 
schlossen sich demnach die österreichischen und deutschen Kardinäle zu- 
sammen (fünf und zwei) und versuchten, auf die andern auswärtigen Kar- 
dinäle Einfluß zu gewinnen. Es gelang dieses bei dem nordamerikanischen 
Kardinal Gibbons, der zwar nicht förmlich der Gruppe beitrat, aber mit ihr 
stimmte; anfangs schien sich auch der Kardinal Goossens, Erzbischof von 
Mecheln, der österreichisch-deutschen Gruppe nähern zu wollen, scheint 
aber später den Franzosen nähergetreten zu sein. Mit den französischen 
Kardinälen Fühlung zu nehmen, gelang nicht; ihr Führer war Kardinal 
Lang£nieux; ihr eigentlicher Leiter aber war der französische Kardinal der 
Kurie Matthieu. Sie hatten von Delcasse die Weisung erhalten, geschlossen 
für Rampolla und, wenn dessen Kandidatur aussichtslos sei, für Serafino 
Vannutelli zu stimmen. Die spanischen Kardinäle hatten von ihrer Regie- 
rung die Weisung erhalten, sich an die österreichischen Kardinäle anzu- 
schließen; der Wechsel des Ministeriums in Madrid brachte sie aber ins 
Schwanken. und unter Führung des spanischen Kardinals Vives y Tuto 
schlossen sich alle fünf den Franzosen an. Von dem portugiesischen Kardinal 
Netto wie von dem irischen Logue trat eine Stellungnahme nicht zutage. 
Mit diesen Gruppierungen wurde das Konklave am Abend (es 31. Juli 
eröffnet. Die österreichi tsch Kardinäle hatten anfangs be- 
schlossen, für den Kardinal Serafino Vannutelli zu stimmen, da von dem 
österreichisch-ungarischen Botschafter bzw. dem Träger der kaiserlichen 
Exklusive, Kardinal Puscyna. mitgeteilt worden war, sowohl die Kandi(a- 
tur des Kardinals Rampolla als auch des Kardinals Gotti sei unangenchm, 
da sich beide den österreichischen Interessen feindlich bewiesen hätten 
und Kardinal Gotti noch jüngst in einer albanischen Angelegenheit sich 
entweder übelwollend oder unfähig gezeigt habe. Allein bei der letzten 
 
	        
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