EINDRUCK DER HANDLANGERREDE 41
Rede las und hörte, mußte sich baß darüber wundern, daß derselbe Mon-
arch, der einen solchen Appell an seine Brandenburger richtete, wenige
Jahre vorher den stärksten Widersacher aller Umsturzbestrebungen, den
Fürsten Bismarck, fortgeschickt hatte.
Über den Eindruck, den diese Rede in München machte, hatte mir
am 2. März 1897 Monts zutreffend geschrieben: „Meine neulich geäußerten
Befürchtungen betrefis einer kaiserlichen Zentennar-Rede sind in kaum
geahnter Weise in Erfüllung gegangen. Unsere Feinde hier finden
es kaum noch nötig, unter scheinheiligem Achselzucken über den eigent-
lich nicht mehr zurechnungsfähigen hohen Redner ihre helle Freude zu
verbergen. Die Nationalgesinnten gleichen einem aufgeschreckten Hühner-
volk. Der gebildete süddeutsche Durchschnittspolitiker, auch der kleri-
kale, ist entrüstet über die von S.M. beliebte Geschichtsfälschung und
die Bezeichnung der Moltke und Bismarck als Handlanger des erhabe-
nen Herrschers. Auch findet man allgemein den Ausfall gegen die Sozial-
demokratie sehr taktlos. Bezüglich der Heiligsprechung (welches Bild für
einen Herrscher protestantischen Glaubens!) bemerkt das partikulari-
stisch-klerikale Münchener ‚Vaterland‘, wenn das Volk nur erst zu allen
Gebeinen deutscher Kaiser wallfahren könne, dann wäre ihm freilich
wohler. Wohin treiben wir? Die Scholle noch nicht unterwaschenen Erd-
reichs, auf der der Vertreter des Reichs in Bayern steht, wird immer kleiner.
Eine ähnliche Flut wie der märkische Redeschwall spült sie vollends hin-
weg. Einstweilen ist jedenfalls der Trumpf, den wir im toten allverehrten
Kaiser in der Hand hier hatten, unter den Tisch geworfen, da einen Wilhelm
den Großen hier absolut niemand akzeptiert. Verzeihen Sie, wenn ich Ihren
vielen Sorgen um dasKretische Pulverfaßnoch dies hors d’oeuvrehinzufüge.“
Am 4. Juni 1897 schrieb mir Monts: „Ihr vortrefflicher und sehr
einsichtiger Bruder Alfred — ich möchte dies hier ganz besonders hervor-
heben, Alfred ist und wird einer unserer besten Leute — wird über meine
Auffassung der Lage Ihnen rapportiert haben. Ich möchte heute nur mit
Bezug auf die deutsche innerpolitische Lage an ein Wort des verstorbenen
Grafen Eugen Kinsky erinnern, der in Wien einmal gefragt, was in einem
kritischen Moment die Wiener Regierung wohl tun würde, antwortete:
‚Weiß i, was das Dümmste ist?“ Sie leben nicht in Deutschland. Trotz Ihres
weiten Blickes und Ihrer weitreichenden Beziehungen können Sie sich
kaum die ganz exakte Vorstellung der Verstimmung der Geister machen,
speziell hier im Süden. Das einzige Erfreuliche ist, daß trotz allem die
materielle Interessengemeinschaft so groß ist, daß man nicht auseinander
will. Dies ist aber auch das einzige Gute. Vor allem hat der Kaiser die Ab-
neigung gegen ihn persönlich auf einen Grad gebracht, der höchst bedenk-
lich ist, so bedenklich, daß merkwürdigerweise Casa Wittelsbach bis zu
Monts über
die Situation
von 1897