Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

mit Deiner Auffassung von seinen letzten Zielen und den Mitteln, mit denen er sie 
erreichen wollte. Aber gegen eine Klage, die Du in Deinem Brief äußerst, muß ich 
energisch Einspruch erheben! Er soll die Herzen von uns drei ältesten Kindern den 
Eltern entfremdet haben. Was die beiden andern für sich dagegen sagen können, 
weiß ich nicht, aber für mich kann ich nur ganz einfach, aber fest und mit reinem 
Gewissen, antworten: „Nein!“ Er hat niemals gewagt, und ich hätte ihm auch 
niemals gestattet, in meiner Gegenwart über Dich oder den lieben Papa Bemer- 
kungen zu machen! Aber wenn Du damit die Möglichkeit andeuten willst, ich 
hätte helfen sollen, den damals allmächtigen Kanzler in den Tagen von Papas 
Regierung zu stürzen, so gestehe ich ganz offen, daß ich ganz und gar dagegen 
war, und aus einem sehr guten Grunde. Großpapas Tod hatte das Land so ent- 
setzlich verwirrt und verstört gemacht, daß es ganz von Sinnen war, ja beinahe 
hysterisch. In dieser Stimmung blickte das Volk nicht aufunsals die einzigen Über- 
mittler und Bewahrer deralten Tradition — das war ein schwerer Fchler, und es war 
seine hinterlistigste Tat— aber es war eine Tatsache! Hätte Papa und ich mit ihm 
Bismarck fortgeschickt, so wäre gegen ihn und gegen Dich ein solcher Sturm los- 
gebrochen, daß wir einfach machtlos gewesen wären, ihn auszuhalten, und über 
des armen Papas letzte Tage Bitternis gekommen wäre, daß Papas glänzendes, 
unauslöschliches Bild in den Augen des Volks verdorben worden wäre, ja daß Dein 
Bleiben in Deutschland vielleicht gefährdet, vielleicht unmöglich geworden wäre. 
Für den Augenblick war Bismarck Herr der Situation und des Reiches! Und das 
Haus der Hohenzollern war so gut wie gar nichts! Hätten wir auch nur versucht, 
an ihn zu rühren, so hätten sich alle deutschen Fürsten — ich wurde heimlich 
davon in Kenntnis gesetzt — wie ein Mann erhoben und hätten uns gezwungen, 
den Kanzler wiederzuholen, dem wir und besonders später ich auf Gnade und 
Ungnade ausgeliefert gewesen wäre! Die Lage war einfach unmöglich. Von diesem 
Augenblick verstand ich die furchtbare Aufgabe, die Du damals nicht sahst, die 
der Himmel mir gestellt hatte: die Aufgabe, die Krone zu retten vor dem über- 
wältigenden Schatten ihres Ministers, die Person des Monarchen erst einmal an 
„seinen“ Platz zu bringen, die Ehre und die Zukunft unseres Hauses zu retten 
vor dem verderblichen Einfluß des Mannes, der uns unseres Volkes Herz gestohlen 
hatte, und ihn büßen zu lassen, was er an Papa, an Dir und selbst an Großpapa 
gefrevelt hatte! Schrecklich genug für einen jungen Mann von dreißig Jahren! 
Seine Regierung damit anfangen zu müssen, nachdem eine so glorreiche erst eben 
vorüber war! Ich aber fühlte, was meine Pflicht war, und Gott sei gedankt, Er 
half mir. Ohne ihn war ich verloren. Als der Kampf sich erhitzte und Bismarck 
seine verwegensten Ränke gegen mich anfing, wobei er nicht einmal vor Hoch- 
verrat zurückschreckte, ließ ich ihm sagen: Mir schiene, er wolle die Hohenzollern 
niederreiten zu Gunsten seiner eigenen Familie; sei das der Fall, so wolle ich ihn 
warnen, denn der Versuch sei vergeblich, und er würde der verlierende Teil sein. 
Die Antwort war, wie ich sie erwartet hatte. Und ich warf ihn nieder und streckte 
ihn in den Sand zur Rettung meiner Krone und unseres Hauses! Seit jenen 
schrecklichen Jahren mußte ich den Sturm von Deutschlands Gefühlen über 
mich ergehen lassen und die niedrigsten Ränke des aufgeregten Wüterichs 
Bismarck! Dasselbe hätten der arme Papa und Du sonst aushalten müssen! Ich
	        
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