Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Bismarck 
und 
Rußland 
44 DER SCHWARZSEHER FÜRST BISMARCK 
Monts stimmten in der Hauptsache mit dem überein, was mir von verschie- 
denen Gesichtspunkten ausgehend, aber im Endresultat sich deckend, 
Herbert Bismarck und Phili Eulenburg gesagt und geschrieben hatten. 
Was ich von beiden über den rapide schwindenden Nimbus des Kaisers 
und damit leider auch der Krone, über die stark erschütterte Autorität der 
Regierung, die allgemeine Unsicherheit und die Unzufriedenheit in Deutsch- 
land hörte, bestätigte nur zu sehr die Sorgen und Befürchtungen, die mich 
selbst seit der in pietätloser und brutaler, in ungeschicktester Weise erfolg- 
ten Verabschiedung des Fürsten Bismarck erfüllten, vor der ich am 2. März 
1890 in meinem Bukarester Brief an Phili Eulenburg vergeblich gewarnt 
hatte. „Ich sehe schwarz in die Zukunft“, hatte Fürst Bismarck schon im 
März 1891 zu Frau von Spitzemberg gesagt, derihm undseiner Frauseitlangen 
Jahren befreundeten Gattin des württembergischen Gesandten in Berlin, 
die es mir wiedererzählte. Das furchtbar Gefährliche im Charakter des 
Kaisers sei, daß er dauernd keinem, momentan jedem Einfluß zugänglich 
wäre und alles sofort zur Tat werden lasse, somit jede Stetigkeit aufhöre. 
Dazu Mangel an Rechtsgefühl und Augenmaß. Er achte weder noch emp- 
finde er das Recht anderer und schieße immer über das Ziel hinaus. So 
Fürst Bismarck an Frau Hildegard von Spitzemberg, ein Jahr nach 
seinem Rücktritt. 
Meine Gedanken und Betrachtungen hatten sich in erster Linie der aus- 
wärtigen Politik zuzuwenden, deren Leitung ich übernehmen sollte. Die mir 
von Marschall hinterlassene Erbschaft war nicht erfreulich und nicht leicht. 
Rußland war durch die von uns abgelehnte Erneuerung des Bismarck- 
schen Rückversicherungsvertrages vor den Kopf gestoßen und in 
die französischen Arme getrieben worden. England war durch das Krüger- 
Telegramm, Japan durch den von Holstein ausgeklügelten ostasiatischen 
Dreibund tief verletzt worden. Weniger die englische Regierung und die 
leitenden japanischen Staatsmänner als die breiten Schichten des englischen 
Volkes und die japanischen Intellektuellen. Frankreich war durch die bis- 
weilen taktlosen Avancen des Kaisers nicht versöhnt worden, während das 
Bündnis mit Rußland das französische Selbstgefühl und mit dem Selbst- 
gefühl die Hoffnung auf die große Revanche, la grande revanche, mächtig 
gesteigert hatte. Während neben mir die Wellen des Fröschnitzbaches 
murmelten, überdachte ich das internationale Schachbrett, wiees vor mir lag. 
Ich erkannte bald, daß der Punkt, der für uns entscheidend war, an der 
Newa lag. Schon Friedrich der Große hatte in seinem Testament geschrie- 
ben: „Von allen Nachbarn Preußens ist das russische Reich das gefähr- 
lichste, sowohl in Bezug auf seine Macht, als durch seine Lage. Die Re- 
genten Preußens nach mir haben Grund genug, die Freundschaft mit diesen 
Barbaren zu pflegen.“ Der große König war während des Siebenjährigen
	        
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