Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Italien 
unter Crispi 
Japan 
48 ITALIEN IM DREIBUND 
wurde, lag die Situation zwischen dem deutschen Volke und dem englischen 
Volke schon klar zutage. Die vor uns liegende, unendlich schwierige Aufgabe 
war, die Flotte, die wir gerade gegenüber England brauchten um der 
Milliardenwerte willen, die wir dem Meere anvertraut hatten, bis zu der 
Stärke zu bauen, wo ein Angriff gegen uns zu einem ernstlichen Risiko für 
den Angreifer wurde, ohne doch gerade durch diesen Flottenbau den Blitz 
auf uns herabzuziehen. 
Unser Verhältnis zu Italien hatte 1897 in den Augen der Italiener schon 
manches von seinem ersten Schimmer verloren. Als Bismarck und nach ihm 
Caprivi-Holstein dem Wunsche Crispis, bald zu einer gründlichen Aus- 
einandersetzung mit dem in Italien damals sehr verhaßten Frankreich zu 
kommen, kühl und ablehnend begegneten, erkannten die Italiener all- 
mählich, daß der Dreibund in den Augen der Deutschen mehr eine Ver- 
sicherungsgesellschaft als eine Erwerbsgenossenschaft sein sollte und daß 
sie ihre Vergrößerungspläne, sei es im Norden der Halbinsel und an den 
Ufern des Adriatischen Meeres, sei es in westlicher Richtung und an der 
Nordküste Afrikas, zurückstellen müßten. Aus dem unglücklichen Ausgang 
der abessinischen Expedition und den üblen Folgen des von Crispi be- 
gonnenen Handelskrieges mit Frankreich entnahmen viele Italiener die 
weitere Lehre, daß sich schlecht mit der größten lateinischen Nation zu 
stellen, für Italien auch seine Schattenseite habe. Der Italiener ist Real- 
politiker. Alles in allem ist das italienische Volk mit dem englischen wohl 
das politisch begabteste der europäischen Völker, ob es sich um die Mon- 
signori handelt, die vom ältesten und größten Palast der Welt, dem Vatikan, 
aus den internationalen bierarchischen Apparat der Katholischen Kirche 
dirigieren oder um die Minister, die auf dem anderen Ufer des Tiber die 
Außenpolitik des geeinigten Königreichs Italien führen. Die Behandlung 
Italiens von unserer Seite mußte vorsichtig, taktvoll und elastisch sein, 
unter sorgsamer Beobachtung der Imponderabilien, die gerade in diesem 
Lande schwer ins Gewicht fallen, wo auf „gentilezza“‘ der Form Wert 
gelegt wird. 
Eine entschiedene Verschlechterung unserer auswärtigen Lage war seit 
der Entfernung des Fürsten Bismarck in bezug auf Japan eingetreten, 
das wir durch das mißglückte Holsteinsche Experiment des ostasiatischen 
Dreibunds stark verschnupft hatten. Noch mehr vielleicht durch das un- 
glückselige Bild des Kaisers, dem er die Unterschrift gegeben hatte: 
„Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter.‘“ Niemand verstand, wieso 
die heiligsten Güter der europäischen Menschheit durch die milde Lehre des 
Buddha bedroht sein sollten. Aber Wilhelm II. hatte sich mit dem ihm bei 
aller Flatterhaftigkeit gelegentlich auch wieder eigenen Starrsinn so sehr 
in diese Wahnidee verbissen, daß ihm selbst der einzelne Japaner anti-
	        
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