„VÖLKER EUROPAS...!“ IN DEN OSTASIEN-SCHIFFEN 49
pathisch geworden war. Er behandelte die japanischen Diplomaten und
Militärs trotz meiner und anderer Leute Vorstellungen persönlich schlecht
und nötigte Ballin und Wiegand, die im übrigen von ihm mit großer Aus-
zeichnung behandelten Direktoren der Hamburg-Amcrika-Paketfahrt-
Aktiengesellschaft und des Bremer Norddeutschen Lloyd, dieses sein
groteskes Bild in ihren nach Ostasien fahrenden Schiffen aufzuhängen, zur
Freude der Engländer, die aus solcher Verletzung japanischer Gefühle bis
zum letzten Tage der Regierung des Kaisers für sich nicht unerheblichen
Nutzen ziehen sollten.
Das Gesamtergebnis meiner stillen Prüfung der Weltlage war, daß
das kostbarste Gut des deutschen Volkes, ein ehrenvoller Friede, wohl
aufrechtzuerhalten war, auch wenn wir uns die Flotte bauten, die wir zu
unserem Schutz und für defensive Zwecke benötigten. Diese Linie durften
wir nicht um ein Haar breit überschreiten, aber bis zu dieser Linie
konnten wir gehen, wenn unsere Politik mit Stetigkeit, mit Mut und Ent-
schlossenheit, aber auch mit Vorsicht, mit Takt und (last not least) mit
Geschick geführt wurde.
Obwohl die Tätigkeit des Staatssekretärs des Äußern im allgemeinen
auf das Feld der auswärtigen Politik beschränkt ist, war ich doch seit jeher
der Ansicht, daß sich eine verständige und gesunde auswärtige Politik nur
bei richtiger Einschätzung der inneren Kräfte und in Fühlung mit den die
Nation bewegenden Strömungen und Ideen führen lasse. Deshalb suchte
ich mir auch unsere innere Lage während jener ruhigen Wochen möglichst
deutlich vor Augen zu führen. Die unbehagliche und unzufriedene Stim-
mung, die seit der Entlassung des Fürsten Bismarck in Deutschland
herrschte, hatte während der ersten Hälfte des Jahres 1897 neue Nahrung
erhalten. Der Kaiser hatte auf dem Festessen des Brandenburger Provinzial-
landtages am 26. Februar 1897 jene von mir schon erwähnte, mehr als
exzentrische Rede gehalten. Bei dieser Rede waren dem Kaiser auch andere
Irrtümer unterlaufen, er hatte Sir Francis Drake mit Balboa verwechselt
und den Stillen Ozean mit dem Atlantischen. Derartige kleine Entglei-
sungen passierten ihm nicht selten im Feuer der Rede. Als diesmal der
kaiserliche Redner geschlossen hatte, waren besorgte und gewissenhafte
Flügeladjutanten von Stuhl zu Stuhl geeilt, um die anwesenden Herren zu
bitten, über die Kraftstellen der Rede zuschweigen. Diese Bitte war auch
von fast allen Anwesenden erfüllt worden, aber ein indiskreter Gast, wie
behauptet wurde ein freisinniger Abgeordneter, hatte genügt, um die
drastischsten Wendungen des Monarchen in die Öffentlichkeit zu bringen.
Der allgemeine Eindruck war deplorabel. Von vielen Seiten erhob sich
die Klage, daß, wenn es in dieser Weise weitergehe, das reiche Erbe, das
Kaiser Wilhelm II. angetreten hatte, dies gewaltige Erbe an Ansehen,
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Die innere
Lage