DIE DETMOLDER OMELETTE sl
Kurz bevor ich nach Kiel berufen worden war, hatte eine große englische
Wochenschrift, die „Saturday Review“, das Catonische Macht- und Neid-
diktat wiederholend, ihr „Ceterum censeo Germaniam esse delendam“
in die Welt gerufen. Um dieselbe Zeit veröffentlichte ein Reichsgerichts-
rat, Otto Mittelstädt, im Hinblick auf das Umsichgreifen der sozial-
demokratischen Bewegung sein Buch „Vor der Flut‘, das ein Schrei
der Angst und Verzweiflung war. Aber hoch über allen solchen bedroh-
lichen Erscheinungen stand für mich als Ergebnis unbefangener Prüfung
der äußeren und inneren Lage und gesammelten Nachdenkens die Not-
wendigkeit, unserem Volk mit dem Frieden in Ehren das von Bismarck ins
Leben gerufene monarchische Reich zu erhalten, was mir auch trotz aller
Klippen und Sandbänke möglich erschien. Ich gedachte der schönen Worte,
die bei meinem geliebten Homer der tüchtige Hektor seinem Wagenlenker
Polydamas zuruft, der, erschreckt durch den Unglück ansagenden Flug der
Vögel, ihn auffordert, das Kampffeld zu verlassen:
„Ich achte sie nicht, noch kümmert mich solches,
Ob sie rechts hinfliegen, zum Tageslicht und zu der Sonne,
Oder auch links dorthin, zum nächtlichen Dunkel gewendet.“
Ein Wahrzeichen nur gilt, das Vaterland zu erretten! Ich bat Gott, mir
Kraft und Geschick für mein Amt zu verleihen, und kehrte Ende Juli wieder
nach Deutschland zurück.
Während meiner Abwesenheit war Herr von Bötticher durch den
bisherigen Staatssekretär des Reichsschatzamtes, Graf Posadowsky,
ersetzt, Miquel an Böttichers Stelle zum Vizepräsidenten des preu-
Bischen Staatsministeriums, Generalleutnant von Podbielski zum Staats-
sekretär des Reichspostamtes ernannt worden. Vierzehn Tage später
hatte Prinz Adolf von Schaumburg-Lippe, nachdem das Schiedsgericht
in der Erbfolgefrage unter dem Vorsitz des Königs Albert von
Sachsen den Grafen Ernst zu Lippe-Biesterfell für erbfolgeberechtigt er-
klärt hatte, die Regentschaft über Detmold niedergelegt. Der Kaiser, der
leider die Lippesche Angelegenheit vom ersten Tage an rein persönlich
genommen hatte, richtete beim Abzug seines Schwagers und seiner
Schwester Viktoria ein Telegramm an beide, in dem er in schwungvollen
Worten und allzu emphatisch erklärte, daß Detmold niemals einen besseren
Herrscher und nie eine bessere Herrscherin erhalten würde als das nun leider
das Land verlassende fürstliche Paar. An den deutschen Höfen, aber auch
in weiteren Kreisen erregte diese Kundgebung, die politisch deplaciert
war, Erstaunen und Ärger. Für sie wie für die ganze Behandlung, die der
Kaiser der Detmolder Frage angedeihen ließ, konnte das französische
Sprichwort gelten: „Tant de bruit pour une omelette.“
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Der Fall
Lippe