Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Beim Kaiser 
in Kiel 
56 „WIE WIRD’S MIT MEINEN SCHIFTEN?“ 
englische Regierung am 30. Juli 1897 den deutsch-englischen Handels- 
vertrag vom 30. Mai 1865 gekündigt und gleichzeitig den Abschluß eines 
neuen Meistbegünstigungsvertrags angeregt hatte, der aber lediglich die 
Beziehungen zwischen England und Deutschland, also unter Ausschluß 
der englischen Kolonien regeln sollte, sah der Kaiser in dieser Maßnahme 
eine direkte Bedrohung vitaler deutscher Interessen, die nur durch den 
beschleunigten Bau einer deutschen Flotte pariert werden könne, und 
richtete in diesem Sinne erregte Telegramme an den Reichskanzler und den 
preußischen Finanzminister. Das en clair an den greisen Fürsten Hohenlohe 
gerichtete Telegramm, das diesen aus seiner wohlverdienten Sommerruhe 
in Alt-Aussee aufscheuchen sollte, lautete: „Von tiefstem Herzen bedauere 
Ich die so plötzlich erfolgte Kündigung der Handelsverträge, welche einen 
schweren Schlag für unser armes, von Wetterkatastrophen so schwer heim- 
gesuchtes Volk bedeutet. Dieses unqualifizierbare Vorgehen ist gleich- 
bedeutend mit dem Beginn eines Krieges bis aufs Messer gegen unseren 
eben aufblühenden produktiven Staat. Das Volk wird nun erkennen, 
welche kostbare Zeit in den letzten zehn Jahren meinen Warnungen zum 
Trotz verlorenging. Hätte die sozialistische Partei nicht jahrelang alle 
Schiffsbauten auf das heftigste bekämpft und in unbegreiflicher Ver- 
blendung zu Fall gebracht, so wären wir jetzt nicht auf See so gut wie wehr- 
los und den Angriffen auf unseren Handel ganz preisgegeben. Hätten wir 
eine starke, Achtung gebietende Flotte gehabt, wäre die Kündigung nicht 
erfolgt. Als Antwort muß eine schleunige, bedeutende Vermehrung unserer 
Neubauten ins Auge gefaßt werden.“ 
Bevor ich den Semmering verließ, hatte ich von Francesco Crispi, dem 
ich brieflich mein Bedauern ausgesprochen hatte, daß es mir nicht möglich 
gewesen wäre, persönlich von ihm Abschied zu nehmen, aus Palermo das 
nachstehende Telegramm erhalten: „Je vous remercie de vos sentiments. 
Je me rappclle avec le plus grand plaisir que pendant votre mission en Italie 
nous avons &teE d’accord en tout ce qui regardait le bien-Etre de nos pays 
et la paix de l’Europe.“ 
Am 3. August 1897 stand ich wieder vor dem Kaiser in Kiel. Der Kaiser 
frug mich mit dem offenen und gewinnenden Gesichtsausdruck, den er 
hatte, wenn er in guter Stimmung war und solange ihm sein Visavis 
sympathisch blieb: „Nun, wie wird’s mit meinen Schiffen? Was haben 
Sie sich in den österreichischen Bergen ausgedacht?“ Ich wußte, daß 
Wilhelm II. Vorträge, und nun garlange Vorträge, nicht goutierte. Um einem 
vorzeitigen Abbrechen der Unterredung vorzubeugen, entgegnete ich 
Seiner Majestät, daß es sich um einen Vortrag von immerhin ein bis zwei 
Stunden handele. Seufzend meinte der Kaiser, dann wollten wir die Konferenz 
ambulando abmachen. Wilhelm II. hatte von seiner Mutter die gesund-
	        
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