Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

58 „NUN, DAFÜR SIND SIE JA DA! 
meine leitenden Gedanken in dieser Richtung. Es stehe für mich außer 
Zweifel, daß wir die Milliardenwerte schützen müßten, die wir nach und 
nach dem Mcere anvertraut hätten, unsere Schiffahrt, unsern Handel, 
unsere gewaltig sich entwickelnde Industrie. Die Industrialisierung Deutsch- 
lands hätte sich mit einer Vehemenz vollzogen, die nur in den Vereinigten 
Staaten ihresgleichen habe. Noch Ende der siebziger Jahre habe die deutsche 
Landwirtschaft so viele Menschen ernährt wie Industrie und Handel zu- 
sammen, beim Rücktritt des Fürsten Bismarck habe sie allein hinter der 
Industrie um mehr als eine Million Berufsangehöriger zurückgestanden. 
Es werde immer eine der wundersamsten Erscheinungen der Geschichte 
bleiben, daß der Staatsmann, der wie kein zweiter aus der deutschen Erd- 
scholle emporgewachsen war, der Gutsherr von Schönhausen und Deich- 
hauptmann des Kreises Jerichow, der Mann, von dem, als er schon lange 
Reichskanzler war, seine Frau sagen konnte, eine Wruke (Kohlrübe) 
interessiere ihn mehr als die ganze Politik, der Mann, der noch am Ausgang 
seines Lebens sich um jede Einzelheit in der Landwirtschaft seiner Güter 
kümmerte, mehr zur Industrialisierung Deutschlands beigetragen habe 
als irgendein anderer: „Was er webt, das weiß kein Weber.“ Die Gefahren 
einer zu weit gehenden Industrialisierung habe Fürst Bismarck ex post 
nicht verkannt und ihnen durch kräftiges Eintreten für den Schutz der 
Landwirtschaft nach Möglichkeit entgegengewirkt. Fürst Bismarck habe 
die nach seinem Rücktritt erfolgte Herabsetzung der Getreidezölle durch 
Caprivi meines Erachtens mit Recht getadelt und trete ja gegenwärtig, 
wie ich glaube auch mit Recht, für die Erhöhung der landwirtschaftlichen 
Zölle ein. Mit den gegebenen Faktoren müsse man aber in der Politik immer 
rechnen. An der riesigen, vielleicht übertriebenen, aber nun einmal vor- 
handenen Entfaltung von Industrie, Handel und Schiffahrt sei nichts zu 
ändern. Wir müßten diese Erwerbszweige, von denen Wohlstand und Leben 
von Millionen Deutschen abhänge, zweifellos besser schützen, als dies bisher 
der Fall gewesen wäre. Sei das möglich, ohne mit England aneinanderzu- 
kommen? Ganz leicht würde das nicht sein, wie dies die Politik Englands 
in früheren Zeiten gegenüber seinen wirtschaftlichen Konkurrenten und 
namentlich seefahrenden Konkurrenten zeige. Die Voraussetzung des 
Erfolgs sei für uns eine ruhige, vorsichtige und, wenn ich mich so aus- 
drücken dürfte, eine elastische Politik von unserer Seite. „Nun, dafür sind 
Sie ja da!“ unterbrach mich der Kaiser. Ich bat Seine Majestät, nicht an 
meinem guten Willen zu zweifeln, dieser genüge aber nicht, ich müsse auch 
von ihm unterstützt werden. Er schlug mir auf die Schulter und meinte, 
ich könne auf seine volle Unterstützung und sein volles Vertrauen rechnen. 
Ich deutete an, daß es sich nicht nur um aktive Hilfe von seiner Seite 
handele, sondern auch, und zwar vor allem, um „negative Unterstützung“.
	        
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