PRO PACE ET IMPERATORE 61
bare Rückschläge gefolgt wären. Mein früherer Chef in St. Petersburg,
General von Schweinitz, habe seinem ältesten Sohne selbst Geschichts-
unterricht erteilt und dabei mit besonderer Sorgfalt und eingehend die
Katastrophen von 1806 und 1848 behandelt. Solche Lehren unserer Ge-
schichte mahnten zur Vorsicht.
Zu den vielen guten Eigenschaften Wilhelms II. gehörte eine ungemein
schnelle Auffassungsgabe, wie sie mir gleich rasch selten vorgekommen ist.
Wo er ohne vorgefaßte Meinung war, an der er freilich unter Umständen
mit dem Eigensinn festhalten konnte, der ein Erbteil seiner welfischen
Mutter war, und wenn keine persönliche Ranküne bei ihm bestand, war er
für gute Argumente empfänglich. „Ja, der Mensch soll sich überwinden
können“, meinte er schließlich mit einer mich tief bewegenden, weil herz-
lichen Aufrichtigkeit. „Wer überwindet, der gewinnt! Diesen Spruch hat
meine gute Frau auf Pergament mit blauen Buchstaben malen, ihn schön
einrahmen lassen und mir dann auf meinen Berliner Schreibtisch gestellt.
Ich werde unser heutiges Gespräch nicht vergessen. Pro pace etimperatore.“
Der Kaiser hatte für römische Schriftsteller und Dichter wenig übrig,
liebte es aber, seine Gedanken in kurze lateinische Schlagworte zu fassen:
Tamen, Semper talis, Nunquam retrorsum, pro Rege et grege u. ä.
Wir waren inzwischen wieder am Anlegeplatz der „Hohenzollern“ an-
gelangt, auf der schon das Mittagsmahl auf den Kaiser wartete. Am Abend
des 4. August trat die „Hohenzollern“ die Fahrt nach Peterhofan. Der Kaiser
war auf dieser Reise begleitet von den Chefs seiner drei Kabinctte, Herrn
von Lucanus, General von Hahnke und Admiral Freiherrn von Senden,
von dem Oberhof- und Hausmarschall Graf August zu Eulenburg, dem
Kommandanten des Großen Hauptquartiers, General von Plessen, und von
mir als kommissarischem Staatssekretär des Äußern.
Herr von Lucanus war dem Kaiser während dessen Kronprinzenzeit
vom Fürsten Bismarck als Kabinettsrat mit den Worten empfohlen
worden: „Der holt Ihnen die Mütze aus jedem Dreck.“
Sein Vorgänger war Herr von Brandenstein gewesen, der Sprosse
einer hochkonservativen Familie, Heidelberger Saxo-Borusse, Korps-
bruder und Freund von Leo Buch, der später die Konservativen im
Herrenhaus mit Festigkeit und Klugheit geführt hat. Brandenstein
gehörte der schärferen Richtung der Konservativen an, die er hie und da
auch nach außen zur Schau trug. Er sollte in späterer Zeit bei vielen
braven Philistern Ärgernis durch eine Rede im Abgeordnetenhaus erregen,
in der er darüber klagte, daß in der Neuzeit ein „anständiger‘“ Mann in die
Lage versetzt werden könne, in einem Abteil zweiter oder selbst erster
Klasse mit Leuten zusammen zu sitzen, die Röllchen statt angenähter
Manschetten trügen. Fürst Bismarck liebte seit seinen Reibungen mit den
Abfahrt nach
Peterhof