TIRPITZ WILL NORDSCUHLESWIG ZURÜCKGEBEN 79
Kanzlerschaft des Grafen Caprivi, des Fürsten Hohenlohe oder während
meiner Amtszeit zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Generalstab der
Armee ein Meinungsaustausch wegen eines etwaigen Einmarsches in Luxem-
burg, Belgien oder Holland stattgefunden hätte, mir der Staatssekretär des
Auswärtigen Amts, Herr von Haniel, am 6. Juli 1920 amtlich erwiderte:
„Hochzuverehrender Fürst! Auf die gefällige Anfrage vom 1. d.M., ob
während der Jahre 1890 bis 1909 ein Meinungsaustausch zwischen dem
Auswärtigen Amt und dem Generalstab der Armee wegen eines etwaigen
Einmarsches in Luxemburg, Belgien oder Holland stattgefunden hat,
beehre ich mich, Eurer Durchlaucht mitzuteilen, daß die Akten des Aus-
wärtigen Amts nichts über die Führung eines derartigen Schriftwechsels
enthalten. In aufrichtiger Verehrung Ihr sehr ergebener E. Haniel.“
Kaiser Wilhelm II. ist während der zweiten Hälfte meiner Reichskanzler-
zeit, von 1904 bis 1909, mir gegenüber auf den Gedanken einer Invasion
Belgiens nicht wieder zurückgekommen. Um so eifriger beschäftigte er sich
mit dem Plan, ein engeres Verhältnis zu Dänemark herzustellen. Dieser
Wunsch war in den Kreisen unserer Marine weit verbreitet. Um ein Bünd-
nis mit Dänemark zu erreichen, wäre Tirpitz gern bereit gewesen, Nord-
schleswig an Dänemark zurückzugeben. Andere unserer Seeleute hielten es
in dieser Richtung mehr mit dem Erlkönig: „Und bist du nicht willig, so
brauch’ ich Gewalt.“ Ich bin mir nie im Zweifel darüber gewesen, daß jeder
Versuch, ein näheres Verhältnis zu Dänemark herbeizuführen oder gar zu
erzwingen, sicherlich England, wahrscheinlich auch Frankreich und viel-
leicht selbst Rußland uns auf den Hals ziehen würde. Als mir der Kaiser
im Februar 1905 zweimal hintereinander ex abrupto telegraphierte: „Wir
müssen ein engeres Verhältnis zu Dänemark herstellen“, schrieb ich ihm,
daß eine deutsche diplomatische Aktion zur Herbeiführung einer Allianz
mit Dänemark die schon vorhandene Unsicherheit der Weltlage noch erheb-
lich erhöhen würde. Eine Allianz zwischen dem mächtigen Deutschen Reich
und dem kleinen Dänemark würde allgemein als ein Verzicht Dänemarks
auf seine Unabhängigkeit und als dessen Angliederung an das Deutsche
Reich aufgefaßt werden. Der greise König Christian IX. hege für den Deut-
schen Kaiser innerlich vielleicht jene „väterliche Zuneigung‘, von welcher
der Kaiser mir wiederholt gesprochen habe. Der König könne aber gar kein
Bündnis abschließen ohne Zuziehung der konstitutionellen Organe, welche
letztere wieder von der Volksstimmung abhängig wären. Das dänische Volk
sei deutschfeindlich. Diese Gesinnung habe sich im Laufe von vierzig Jahren
dank dem heilenden Einfluß der Zeit und einer vernünftigen Politik von
deutscher Seite allmählich beruhigt, aber der Verdacht, daß Dänemark in
Abhängigkeit von Deutschland gebracht werden solle, würde sofort In-
stinkte wachrufen, die sich diplomatischer Einwirkung entzögen. Nicht
Wilhelm II.
und
Dänemark