„LANGE NICHT SO INDISKRET...“ 89
las, und sagte zu mir: „Ich kann mir denken, daß Sie diese Auffassung be-
wundern. Ich selbst denke aber doch nicht ganz so.“ Nach einer kleinen
Pause fügte er hinzu: „Ich halte es mit Kaiser Maximilian I. Der mußte
auf einer Gemsjagd in einer kleinen Jagdhütte übernachten. Während er
schlief, schrieben einige Herren seines Gefolges, so ein paar freche Junker,
mit Kreide an die Wand: ‚Maximilian! Maximilian! Du bist nur ein Mann
wie ein anderer Mann.‘ Kaiser Maximilian schrieb mit derselben Kreide
darunter: ‚Wohl bin ich ein Mann wie ein anderer Mann, nur daß mir Gott
hat Ehre angetan.‘ Da hatten die Junker ihr Fett weg.“ Von dem Kaiser
Maximilian sagt Gregorovius in seiner klassischen Geschichte der Stadt Rom
im Mittelalter, daß sein Geist nicht tief, aber aufgeregt und phantasievoll
gewesen wäre.
Mein persönliches Verhältnis zum Kaiser blieb trotz gelegentlicher
Friktionen noch gut. Doch mag ich ihm schon damals hier und da un-
bequem geworden sein. Dies trat charakteristisch bei nachstehendem Vor-
fall zutage. Als ich ihm vor einer Begegnung mit dem König Georgios von
Griechenland, der als dänischer Prinz und weil vom Kaiser damals nicht
immer freundlich behandelt, auch infolge des alten Gegensatzes zwischen
den Häusern Glücksburg und Augustenburg den Kaiser persönlich nicht
mochte, andererseits aber als Bruder der Königin Alexandra von England
und der Kaiserin-Mutter Maria Feodorowna von Rußland manche Möglich-
keit besaß, uns zu schaden, Vorsicht in seinen politischen Äußerungen an-
empfahl, telegraphierte mir der Kaiser: „Ich finde es zum mindesten
entwürdigend, daß Eure Exzellenz Mich für eine solche klatschsüchtige
alte Kafleeschwester halten. Ich bin lange nicht so indiskret wie Ihre Büro-
und Auswärtigen-Amts-Räte!“
Als ich hierauf die Antwort nicht schuldig blieb, telegraphierte mir
Seine Majestät von der Burg Hohenzollern, die er gern von Zeit zu
Zeit aufsuchte: „Sende Ihnen von der Stammfeste meines Hauses, die
ich eben besuche, herzlichste Grüße. Ein großartiger Rundblick wird
uns bei herrlichstem Wetter gewährt und erhebt den Geist dankerfüllt
zu den blauen Fernen empor, aus denen Gott dieses Schloß und sein
Geschlecht so herrlich gesegnet, nicht zum mindesten mit so treuen
Dienern, wie Sie einer sind.“ Man konnte Wilhelm II. nicht lange böse sein.
Rubige Überlegung führte mich zu dem Entschluß, in der inneren Politik
zunächst die zur parlamentarischen Beratung stehenden Gesetzesvorlagen
durchzuführen. In Voltaires unsterblichem „Candide‘ antwortet der Held
des Romans seinem Lehrer Pangloss auf dessen metaphysische Betrach-
tungen: „Cela est bien dit, mais il faut cultiver votre jardin.‘“ Und der
Freund beider, der alte Philosoph Martin, meint: „Travailler sans raisonner,
c’est le seul moyen de rendre la vie supportable.“