PENETRATION PACIFIQUE 107
Majestät in keiner Weise vor. Es mag aber sein, daß indiskrete Redereien von
Berliner Hofleuten über frühere Wünsche des Kaisers, sich einmal Tanger
anzusehen und afrikanischen Boden zu betreten, ihren Weg in die Presse
gefunden hatten. Jedenfalls ergingen sich französische Blätter bereits in
den Tagen, als der Kaiser 1905 seine Mittelmeerreise antrat, in überheben-
den, zum Teil frechen Drohungen für den Fall, daß der Deutsche Kaiser
sich unterstehen sollte, eich in Tanger zu zeigen.
Die Haltung nicht nur der Pariser Presse, sondern auch des Staats-
mannes, der sie inspirierte, des Ministers des Äußern Delcasse, wurde
nach und nach dreister. Drei Wochen vor dem Abschluß des englisch-
französischen Vertrages von 1904 hatte Herr Delcasse unserem Botschafter
in Paris, dem Fürsten Radolin, die Hauptbestimmungen der Konvention
mitgeteilt und ihm zugleich versichert, daß die Rechte dritter Staaten,
auch Deutschlands, durch sie nicht in Frage gestellt würden. Ich hatte
diese Mitteilung sogleich in höflicher Weise quittiert, indem ich am
12. April 1904 im Reichstag gesagt hatte*: Wir hätten keine Ursache, anzu-
nehmen, daß das englisch-französische Kolonialabkommen eine Spitze
gegen eine andere Macht enthalte. Es schiene sich nur um den Versuch zu
handeln, eine Reihe alter Differenzpunkte zwischen England und Frank-
reich durch Verständigung aus dem Weg zu räumen. Dagegen hätten wir
vom Standpunkt deutscher Interessen nichts einzuwenden. Gegenüber
Widerspruch von alldeutscher Seite erklärte ich zwei Tage später, daß wir
weder auf das ganze noch auf Teile des Scherifischen Kaiserreichs Anspruch
erhöben**. Gleichzeitig hatte ich im April 190% in der Presse ausführen
lassen, daß Deutschland in Marokko nicht politischen Einfluß suche,
sondern bloß die Interessen der deutschen Volkswirtschaft zu schützen
habe.
Als im Oktober 1904 bekanntgeworden war, daß Paris mit Madrid einen
Vertrag über Marokko abgeschlossen habe, hatte ich mich um Auskunft
nach Puris gewandt, worauf Delcass& versicherte, auch dieses Überein-
kommen würde den deutschen Handel in Marokko nicht benachteiligen,
ihm sogar infolge der zu erwartenden Verbesserung der Rechtspflege in
Marokko nützlich sein. Ich ließ daraufhin durch den Staatssekretär Richt-
hofen dem französischen Botschafter Bihourd erklären, wir wären durch
diese Mitteilung befriedigt. Im Winter 1904 auf 1905 trat jedoch ein Um-
schwung ein, und Delcasse zeigte die Krallen. Er ließ in seiner Presse nicht
nur das Wort von der „Penetration pacifique“ Marokkos in Umlauf setzen,
sondern die französischen Zeitungen forderten die „tunisification‘“ des
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe II, S. 73 ff.; Kleine Ausgabe II, $. 67 ff.
** Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe II, S. 90 ff.; Kleine Ausgabe II, S. 87 ff.
Marokko-
Konflikt