Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

„En Europe“ 
138 DAS „SLOSCHUSS" DES ADMIRALS BIRILEW 
bewegt die Hände gereicht und zufrieden auf ihre Enkel herabgeblickt 
hätten. 
Als mir bald nachher der Gesandte von Tschirschky, der als Vertreter 
des Auswärtigen Amts den Kaiser auf seiner Reise begleitete, den Text des 
Vertrages übersandte, stieß ich zunächst im ersten Artikel auf den Zusatz 
„en Europe“: der deutsch-russische Vertrag war auf Europa beschränkt 
worden. Ich erkannte natürlich sogleich, daß durch diese Einschränkung 
der Vertrag für uns einen großen Teil seines Wertes verlor, denn Rußland 
konnte uns gegen England in Europa keine Dienste leisten. Nur wenn es 
Indien bedrohte, wurden die Engländer an einem für sie empfindlichen 
Punkt getroffen. Für noch bedenklicher hielt ich die Absicht des Kaisers, 
Dänemark in das deutsch-russische Bündnis hineinzuziehen, um so zu 
erreichen, daß Dänemark eintretendenfalls durch Sperrung des Sundes 
einer britischen Flotte die Einfahrt in die Ostsee unmöglich mache. Daß 
sich der Kaiser inzwischen schon nach Kopenhagen begeben hatte, um 
von dem alten König Christian IX. persönlich den Anschluß des dänischen 
Staates an das deutsch-russische Abkommen zu erreichen, machte die 
Sache noch schlimmer und erhöhte die von dieser Seite drohenden Gefahren. 
Endlich mußte es mir in hohem Grade mißfallen, daß der vom Kaiser 
durchgesetzte Vertrag nicht von den auswärtigen Ministern beider Reiche, 
sondern von unserer Seite durch den damaligen Gesandten in Hamburg, 
Herrn von Tschirschky, von russischer durch den Marineminister Birilew 
unterzeichnet worden war. Der kaum vierzehn Tage vorher zum Marine- 
minister ernannte Admiral Birilew, ein biederer Seemann, hatte von Politik 
keine Ahnung und erklärte denn auch später, er habe den von ihm gegen- 
gezeichneten Vertrag von Björkö überhaupt nicht gelesen, da der Deutsche 
Kaiser seine Hand über das Dokument gehalten hätte. Als der Zar ihn auf- 
gefordert hätte, den Vertrag gegenzuzeichnen, habe er pflichtschuldigst 
erwidert: „Sloschuss!“, das heißt „Ich gehorche!“, die Formel, mit welcher 
der russische Soldat antwortete, wenn er einen Befehl erhielt. 
Nach längerem und gründlichem Durchdenken der durch das Vorgehen 
des Kaisers entstandenen Lage schrieb ich an Holstein, der in diesem Falle 
wie bisweilen in kritischen Phasen, aus Scheu, eine Verantwortlichkeit zu 
übernehmen, zu keiner klaren Stellungnabme kam: „Es besteht ein Gegen- 
satz zwischen der Art und Weise, wie Sie in Ihrem soeben erhaltenen Brief 
den Vertrag von Björkö beurteilen, und Ihren letzten Telegrammen. 
In Telegramm Nr. 51 sagten Sie: ‚Der Vertrag in seiner jetzigen Fassung 
ist immer noch entschieden vorteilhaft für uns.“ In Telegramm Nr. 57 
meinten Sie noch: ‚Der Vertrag ist zwar durch die beiden Zusätze ver- 
schlechtert, ist aber immer noch der Konservierung wert. Eine Ver- 
weigerung der Gegenzeichnung würde ich für durchaus nachteilig halten.‘
	        
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