Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

148 ACHT JAHRE ZUSAMMENARBEIT 
brillanten Schützen und gewandten Lawn-Tennis-Spieler ausgebildet. In 
achtjährigeın Zusammenarbeiten mit dem Kaiser hatte ich mich davon 
überzeugen müssen, daß ihm viele Eigenschaften abgingen, die ein Staats- 
oberhaupt besitzen muß, um mit dauerndem Erfolge zu regieren. Es hatte 
schon manche Meinungsverschiedenbeit zwischen uns gegeben, wir hatten 
uns nicht selten „gekabbelt‘‘, um einen Lieblingsausdruck Seiner Majestät 
zu gebrauchen, ich hatte mich bisweilen, sogar recht häufig, über ihn ge- 
ärgert. Aber trotzdem liebte ich ihn mit ganzem Herzen, nicht nur für alle 
Güte, alles Wohlwollen, die er mir fast überreichlich gezeigt und erwiesen 
hatte, sondern ich liebte auch den hochbegabten, edel veranlagten Men- 
schen, der so liebenswürdig und liebenswert, so einfach und natürlich, so 
großherzig und großzügig sein konnte. Ich scheue mich nicht, es zu sagen, 
daß ich noch ganz unter seinem Zauber stand. Obwohl ich kaum zehn Jahre 
älter war als der Kaiser, war ich gereifter als er. Die im Purpur geboren 
wurden, die Porphyrogeniti, bleiben im allgemeinen lange unreif, sie sind 
bisweilen mit vierzig Jahren jugendlicher als andere Sterbliche mit fünf- 
undzwanzig Jahren. Das Schwabenalter beginnt für Prinzen später als für 
die meisten Erdenbewohner. Die Empfindungen, die ich für den Kaiser 
begte, waren die, die ein Vater für seinen Sobn hat, der ihn bisweilen ver- 
stimmt, der ihm noch öfter Sorgen einflößt, dessen glänzende Talente, 
dessen große Geistes- und Herzensgaben, dessen viele schöne Eigenschaften 
ihn aber doch immer wieder erfreuen und anziehen. Auch in späteren 
Jahren, als ich mir über die Oberflächlichkeit und Eitelkeit, die Unzu- 
verlässigkeit und namentlich über die Unwahrhaftigkeit des Kaisers 
Wilhelm II, keine Illusionen mehr machen konnte, selbst nachdem er, 
Ruinen hinter sich zurücklassend, ins Ausland geflohen war, konnte ich 
mich nie entschließen, ihn zu hassen. Auch in den Novembertagen 1908 
war ich dem Kaiser gegenüber frei von jeder Abneigung oder Gereiztheit 
oder auch nur Ungeduld. Ich empfand damals, wenn ich den Vergleich 
gebrauchen darf, wie ein gewissenhafter Arzt, der im gegebenen Augenblick 
die Pflicht hat, beim Patienten, wie teuer dieser ihm auch sein möge, den 
schmerzlichen, aber heilenden Schnitt vorzunehmen. Vor allem habe ich 
vom ersten bis zum letzten Tage meiner Amtsführung in Wilhelm II. 
immer den Sohn seines herrlichen Vaters, den Enkel des Siegers von Sadowa 
und Sedan, den Nachfahren des großen Königs und des Großen Kurfürsten, 
den König von Preußen und Deutschen Kaiser erblickt, den Vertreter der 
ruhmvollsten Dynastie, die Deutschland seit den Hohenstaufen sah, der 
Dymastie, für die und mit der Bismarck Deutschland geeinigt hatte, des 
Herrschergeschlechts, auf dessen Schultern die Zukunft des Deutschen 
Reichs rulhte. 
Der Brief des Kaisers wurde mir durch den Generaladjutanten von
	        
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