Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

BISMARCK NIE ANTIZARISTISCH 159 
Frankreich. Auch König Eduard sprach lange mit mir, ohne jedoch politisch 
Wichtiges bervorzuheben.‘“ Daß der damalige Prinz von Wales Deutschland 
und dem Deutschen Kaiser unbelangener gegenüberstand als sein Vater, 
bestärkte mich in meiner auf die Erhaltung des Friedens gerichteten Politik. 
Die Zeit ging für uns. Es kam aber darauf an, Riffe und Sandbänke zu ver- 
meiden, bis eine Änderung der gesamten Weltlage, wie eine solche von Zeit 
zu Zeit immer wieder eintritt, denn zdrra pel, ewig wechselt alles, uns 
leichtere und ruhigere Fahrt vergönnte. 
Ob ein autokratisch regiertes Rußland für uns nützlicher sei oder ein 
revolutionäres, konnte zweifelhaft erscheinen. Fürst Bismarck war der 
ersteren Ansicht. Herbert Bismarck äußerte mir gegenüber, als ich 1884 
als Botschaftsrat nach St. Petersburg geschickt wurde, sein Vater habe seit 
jeber seine Politik gegenüber Rußland auf die Person des gerade regierenden 
Zaren eingestellt. Andererseits war es klar, daß, wenn es für uns leichter 
war, uns mit dem zaristischen Rußland zu verständigen als mit einem 
republikanischen, weil wir am russischen Hofe, in der russischen Gesell- 
schaft und im russischen Beamtentum viel mehr Anknüpfungspunkte, Ver- 
ständnis und Sympathien fanden als bei den die Autokratie bekämpfenden 
Elementen, doch das Hochkommen der letzteren die russische Macht 
schwächen mußte. Jedenfalls hat Fürst Bismarck recht behalten mit seiner 
Voraussage, daß ein Krieg zwischen den drei Kaiserreichen eine ernste 
Gefahr für die drei Kaiser bedeuten würde. Er würde nie einem Krieg gegen 
Rußland eine so antizaristische Spitze gegeben haben, wie dies Bethmann 
tat. Er hätte auch schwerlich die bolschewistischen Führer aus der Schweiz 
nach Rußland zurückgeführt. Daß die innere Lage in Rußland, je länger 
der Krieg gegen Japan dauerte, um so bedrohlicher wurde, war zweifellos. 
Der russische Botschafter in London, Graf Benckendorff, sprach sich 
seinem deutschen Kollegen gegenüber hinsichtlich der weiteren Entwicklung 
der innerrussischen Verhältnisse sehr ängstlich aus. Kaiser Nikolaus, hatte 
der russische Botschafter in London dem Grafen Metternich unter anderem 
gesagt, sei vorläufig noch entschlossen, den Krieg gegen Japan mit allen 
Mitteln weiterzuführen. Es könne sich dies aber auch plötzlich ändern, 
da die verschiedensten Einflüsse auf den Zaren einwirkten. Im Gegensatz zu 
früher, wo der Zar sich abgeschlossen habe, könne jetzt jeder, der irgend- 
einen Plan zur Rettung Rußlands hege, persönlich an ihn herankommen. 
Den ganzen Tag kämen und gingen Vertreter der Semstwos und andere mit 
Vorschlägen und Bittschriften zum Zaren. Auf eine Frage des Grafen 
Metternich nach der Stellung des Grafen Witte hatte der russische Bot- 
schafter erwidert, der Zar könne Witte nach wie vor nicht ausstehen, dessen 
Macht sei aber trotzdem auf Grund seiner bedeutenden Persönlichkeit nicht 
zu unterschätzen. 
Innere Vor- 
gänge in 
Rußland
	        
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