WITTE IN ROMINTEN 171
für jeden deutschen Kaiser sehr schwer sein würde, Metz, für das so viel
deutsches Blut geflossen wäre, das wir nun seit einem Vierteljahrhundert
besäßen, wieder herauszugeben. Dann frug ich ihn a brüle pourpoint, ob
er wirklich sicher wäre, daß die Franzosen, wenn sie Metz wiederhätten,
ehrlich und aufrichtig auf Straßburg verzichten würden. Witte, der wie alle
ernsthaften Staatsmänner kleine Finasserien, Winkelzüge und Unwahr-
heiten verachtete, erwiderte mir nach kurzem Nachdenken: „Non! Is
deposeront des le lendemain des couronnes aux pieds de la statue de Stras-
bourg sur la Place de la Concorde, en criant: Et Strasbourg ? Strasbourg!“
Er suchte mich davon zu überzeugen, daß ein kontinentaler Bund gegen
England mit unserem Verzicht auf Elsaß-Lothringen nicht zu teuer er-
kauft wäre. Ich mußte ihm darlegen, daß ein deutscher Verzicht auf unsere
Reichslande nicht so leicht zu bewerkstelligen wäre wie die Preisgabe von
Sachalin und selbst von Korea. Man könne nachträglich darüber streiten,
ob Fürst Bismarck seinerzeit alle Folgen der Abtretung von Elsaß-Loth-
ringen an Deutschland vorausgesehen habe. Vielleicht habe er selbst 1871
die leidenschaftliche Zähigkeit des französischen Patriotismus, das Einheits-
gefühl der Franzosen, die Bedeutung der geistigen Fäden wie der Erinne-
rungen, die Elsaß und Lothringen seit der großen Französischen Revolution
mit Frankreich verbänden, unterschätzt. Aber nachdem vor einem Men-
schenalter dieser Schritt geschehen wäre und nun die deutsche Fahne auf
dem Straßburger Münster und auf den Wällen von Metz wehe, sei eine
rückwärtige Revision des Frankfurter Friedens nicht möglich.
Von Berlin begab sich Witte nach Rominten, wo ihn Kaiser Wilhelm,
der kaum etwas so sehr goutierte wie Begegnungen und Unterredungen mit
prominenten Ausländern, mit Sehnsucht erwartete. Philipp Eulenburg,
der einige Tage vorher in Rominten eingetroffen war, schrieb mir am Tage
vor dem Eintreffen von Witte, am 24. September 1905, über seine dortigen
Eindrücke: Er könne mir nicht verhehlen, daß ihn, der dem diplomatischen
Dienst Valet gesagt hätte, der trotz aller äußerlichen Unruhe und Bewegung
stehengebliebene Hof, die Intrigen, die lächelnde Maske der in Ehrgeiz und
Hoffnungen aufgeblähten Figuren, die sich Menschen nennten, merkwürdig
anmuteten. Er müsse unaufhörlich an sich halten, um nicht Wahrheiten
ganz schlicht, ohne Groll und Haß, zu sagen, die aber in diesem Milieu er-
staunen und verletzen würden. Eulenburg fuhr fort: „Und doch ist es mir
schwer, zu schweigen, wenn $. M. mir in alter Vertraulichkeit den ganzen
Gang der Politik erzählt und sie mit bundert Details ausschmückt, in
welchen ich haarscharf die Grenze zwischen Wirklichkeit und Phantasie
zu unterscheiden vermag. Bisweilen will er imponieren, bisweilen auch amü-
sieren — bisweilen hat es gar keinen Zweck — eine Angewohnheit wie eine
andere. Ich werde, wenn wir uns wiedersehen, eine kleine Kontrolle bei Dir
Wilhelm II.
empfängt
Witte