Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

192 KRIEGSAUSBRUCH NAHE? 
fürs erste erhalten wollten. Daher erachte sich England im Falle eines 
Krieges zwischen Deutschland und Frankreich für unbedingt verpflichtet, 
dem letzteren sofort beizuspringen, und das werde es auch bestimmt 
tun. Aber von sich aus allein einen Krieg mit Deutschland machen oder gar 
uns überfallen, daran dächte niemand in England, da wäre das ganze große 
Publikum absolut dagegen, denn es wolle unbedingt gute Beziehungen mit 
uns haben. Auch die Regierung, deren Mitglieder er kenne, sei von demsel- 
ben Wunsche erfüllt und würde alles tun, die freundschaftlichen Gefühle zu 
fördern. Dafür wäre es aber enorm wichtig, daß die leidige Marokko-Frage 
erst von der Tagesordnung verschwinde, denn die laste wie ein Alp auf den 
Engländern, gerade wegen des in Aussicht stehenden Krieges Deutschlands 
gegen Frankreich. Als Ich nochmals erklärte, davon sei gar keine Rede, wir 
würden mit den Franzosen schon zu Rande kommen, wenn London sie nur 
in Frieden ließe, sagte Beit: in Frankreich glaube man ebenso fest an den 
nahen Ausbruch des Krieges wie in London! Rouvier, den er vor ein 
paar Tagen besucht habe, habe es ihm auch gesagt, als er über die Kon- 
ferenz mit ihm gesprochen, die werde sich wohl allmählich abwickeln, aber 
er habe große Sorgen vor Überraschungen, ‚car il est incontestable qu’il 
y a quelque chose dans l’air‘. Nicht genug damit, habe Beit in Paris kon- 
statiert, daß man sich in aller Stille auf einen Krieg vorbereite! Die Re- 
serveoffiziere hätten ihre Einberufungsorders zu Ende Februar erhalten, 
dem mutmaßlichen Datum des Kriegsausbruchs, und überall hätten Vor- 
bereitungen stattgefunden, soweit man solche treffen könne, ohne direkt 
mobilzumachen. Die Stimmung in Paris sei ernst, besorgt, aber fest und 
entschlossen gewesen. Der Schreck vom Frühjahr sei fort, und im Bewußt- 
sein der sichergestellten englischen Hilfe sei man auch guten Muts. Ich 
erwiderte: wir hätten seit den Enthüllungen nie daran gezweifelt, daß 
England mit Frankreich gehen werde — überhaupt stets auf der Seite 
unserer jeweiligen Gegner zu finden sein werde. Die ganze Kriegsangst 
der Franzosen sei lächerlich, an Irrsinn grenzend; falls sie entschlossen 
seien, sich loyal und gentlemanlike in der Konferenz zu benehmen, würden 
sie bei uns dasselbe Verfahren finden, und hoffte Ich, daß aus dem Verlauf 
sich ein ‚good understanding‘ herausentwickeln werde. Da sei also gar kein 
Grund zu irgendwelchem Krieg und Sorge vor Überfall von uns. Aber der 
Grund zu allem diesem Verdrusse sei nicht in Frankreich, sondern in 
London zu suchen! Das sei die verfluchte englische organisierte Hetze 
gegen uns, die systematisch unter der Hand in der Presse aller Länder mit 
skrupelloser Verleumdung, Lüge und Verdächtigung alles gegen uns ein- 
zunehmen und aufzubringen trachte! ‚Glauben Sie, daß die englische 
Regierung das macht ?* fragte Beit. Ich erwiderte: ‚Nein!‘ Aber englisches 
Kapital von reichen Privatiers, welche der Regierung indirekt damit
	        
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