FRIEDRICH WILHELM IV. WEINT TRÄNEN 201
faire.‘“ Immerhin blieb er ein Mann von Geist und wußte interessant aus
dem Leben seines Vaters zu berichten. So erzählte er gern als Beitrag zur
Psychologie der Fürsten, wie sich Friedrich Wilhelm IV. von seinem liebsten
Freunde trennte. Als dieser im November 1850, wenige Tage vor der Ol-
mützer Konvention, seinen Vortrag als Minister des Äußeren beendigt
hätte, habe der König ihn in seine Arme geschlossen und ihm unter Tränen
versichert, daß nichts auf der Welt sie voneinander scheiden könne und
werde. Er begleitete seinen Günstling noch bis ins Vorzimmer und sah ihm
nach, bis er die Schloßtreppe hinabstieg. Zu Hause angekommen, habe der
Minister ein Schreiben des Königs vorgefunden, etwa folgenden Inhalts:
Als Seine Majestät den Minister soeben in seine Arme geschlossen hätte,
wären seine Tränen um so reichlicher geflossen, als er gewußt hätte, daß
er ihn nicht so bald wiedersehen würde. Er müsse der Staatsräson das
schmerzliche Opfer bringen, sich von seinem teuersten Freund zu trennen.
Dem gefallenen Minister wurde eine Sinekure in Erfurt übertragen mit
der Weisung, diesen Ort nur mit spezieller Erlaubnis Seiner Majestät zu
verlassen. Der Gestürzte überlebte seinen Fall nur um zwei Jahre. Der
Sohn war nach zehnjähriger verdienstvoller Tätigkeit am Goldenen Horn
auf Betreiben Holsteins in Madrid kaltgestellt worden. Mir war es eine
Freude, ihm am Ende seiner politischen Laufbahn, nach vielen ihm wider-
fabrenen Enttäuschungen die Genugtuung zu verschaffen, in den Vorder-
grund der politischen Bühne zu treten.
Über die europäische Konstellation und speziell über die Lage der Dinge
in England im Augenblick, wo die Konferenz von Algeciras begann, hatte
mir Metternich einen interessanten Brief geschrieben. Es war ihm
gelungen, im Sommer 1905 mit angesehenen Führern der englischen
Liberalen die gemeingefährliche Deutschenhetze in England zu be-
sprechen und sie auf die Gefahr dieser Agitation aufmerksam zu
machen. Einer der angesehbensten Führer der Liberalen, der leider bald
nachher durch einen Schlaganfall der politischen Arena entrückte
Lord Spencer, hatte daraufhin öffentlich in eindringlicher Weise zur
Versöhnlichkeit gemahnt. Die englische Presse, besonders die liberale,
hatte einen ruhigeren, zum Teil sogar freundlichen Ton gegenüber
Deutschland angeschlagen. Auch eine Anzahl Novembernummern ver-
schiedener Revuen hatten verständige Artikel über die deutsch-englischen
Beziehungen gebracht. Metternich fuhr fort: „Aus allem gebt hervor, daß
man hier Einsicht nimmt und an eine Umkehr denkt. Leider sind die Matin-
Enthüllungen dazwischengefahren und haben das deutsche Volk, wie das
nicht anders sein konnte, mit Erbitterung gegen England erfüllt. Ich mache
nicht zum ersten Male, seitdem ich England kenne, die Beobachtung, daß,
wenn Neigung in Deutschland zur Annäherung an England hervortritt, sie
Brief
Moetternichs
an Bülow