202 MR. HALDANE FÜR ENGLISCH-DEUTSCHE VERSTÄNDIGUNG
in England nicht erwidert wird und umgekehrt. Die Instrumente werden
nicht auf beiden Seiten zu gleicher Zeit gestimmt, und die Harmonie auf
der einen wird mit einer Dissonanz auf der anderen beantwortet. England
und Deutschland haben nicht den gleichen Resonanzboden. Wie es aber
auch sein mag, ich weiß, Sie sind mit mir der Ansicht, daß ich die versöhn-
liche Stimmung unterstützen soll. Ich möchte nun Ihre besondere Aufmerk-
samkeit auf eine kürzlich stattgehabte Unterredung mit Mr. Haldane
lenken, da sie von weittragender Bedeutung für unser Verhältnis zu Eng-
land und zum Ausgangspunkt einer Ära der Aussöhnung zwischen beiden
Völkern werden kann. Die maßgebenden Leiter der liberalen Partei, die
nach allgemeiner Ansicht spätestens im Februar oder März nächsten Jahres
die Zügel der Regierung ergreifen wird, sind zu diesem Werke gewonnen.
Mr. Haldane, Mitglied eines früheren liberalen Ministeriums und dazu be-
stimmt, einen wichtigen Posten in dem kommenden Kabinett einzunehmen,
genießt großes Ansehen bei beiden Parteien. Er hat deutsche Bildung ge-
nossen, spricht Deutsch und ist durch und durch deutschfreundlich ge-
sinnt. Er wird, nach dem hiesigen Ausdruck, zum ‚inner circle of the
Cabinet‘ gehören. Er ist ein Liberaler der neuen Roseberyschen imperia-
listischen Richtung, aber ohne jeden Anflug von Chauvinismus. Rosebery,
Sir Edward Grey, Asquith sind in demselben Fahrwasser und persönliche
Freunde Haldanes. Er hat sich aber nicht wie Rosebery mit dem radikalen,
mehr doktrinär angehauchten Flügel der Partei, zu dem Sir Henry Camp-
bell-Bannerman, Mr. Morley und Mr. Bryce gehören, überworfen, sondern
übt auch bei ihnen großen Einfluß aus. In auswärtigen Fragen hört der
Engländer lieber auf Rosebery als auf Bryce. Die Doktrinär-Radikalen
stehen hier im Geruch des Little-Engländertums, der liberale Imperialist
dagegen nicht. Ich sagte Mr. Haldane, ich hätte mit Bedauern der Rede
Sir Edward Greys, dessen Ansichten über auswärtige Fragen bei der libe-
ralen Partei besonders ins Gewicht fielen, entnommen, daß auch er ein
besseres Verhältnis zwischen England und Deutschland davon abhängig
mache, daß wir anstandslos die französische Marokko-Politik hinunter-
schluckten. Wir hätten den dringenden Wunsch, mit Frankreich in Frieden
und Freundschaft zu leben, wir ließen aber nicht unsere Rechte und Inter-
essen mit Füßen treten, auch nicht dann, wenn England, welches ebenso-
wenig wie Frankreich über Marokko verfügen könne, den Franzosen seine
Hilfe anbiete. Ich sähe nur darin eine Gefahr für den Frieden, daß Frank-
reich in dem Glauben an englische Hilfe dahin getrieben werden könne,
sich über unsere Rechte und Interessen binwegzusetzen. Dies würden wir
uns nicht gefallen lassen. Es sei möglich, daß wir manche Fehler hätten,
aber Feiglinge seien wir nicht. Wir hofften und nähmen an, daß durch unser
Abkommen mit Frankreich über das Konferenzprogramm die Haupt-