Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

XIV. KAPITEL 
Der Vertrag von Algeciras »- Der amerikanische Botschafter Charlemagne Tower über 
die Algeciras-Akte - Bülows Reichstagsrede vom 5. April 1906 - Bülows Ohnmachtsanfall 
Rücktritt des Herrm von Holstein - Bülows Rekonvaleszenz in Norderney » Freundliche 
Kundgebungen + Wilhelrh II. an Goluchowski („brillanter Sekundant‘) « Besuch des 
Kaisers bei Bülow in Norderney « Rede Wilhelms II. in Cuxhaven über Bülows Genesung 
m 7. April 1906 wurde die Algeciras-Akte unterzeichnet, die über die 
Organisation der Polizei in Marokko, die Unterdrückung des Waffen- Die 
schmuggels, die Einrichtung einer Staatsbank, die Verbesserung der Steuer- Algeciras 
erträge, die Verbesserung des Zolldienstes, die Einrichtung des öffentlichen Akte 
Dienstes und der öffentlichen Arbeiten Bestimmungen enthielt, durch die 
wir nicht alles Erwünschte, aber doch das Wesentliche erreichten. Die 
Souveränität des Sultans wurde aufs neue anerkannt und blieb Bestandteil 
des Völkerrechts. Frankreich erlangte nicht das von ihm angestrebte 
Protektorat über den Sultan, vor allem nicht den Oberbefehl über dessen 
Heer, den es im Frühjahr 1905 in erster Linie gefordert hatte. Wir hatten 
die Handelsfreiheit in Marokko erfolgreich verteidigt. An der künftigen Ge- 
staltung der marokkanischen Angelegenheiten war uns ein entscheidendes 
Mitbestimmungsrecht gesichert, auf das wir ohne ausreichende Kompen- 
sation nicht zu verzichten brauchten. Der Versuch, uns von einer großen 
internationalen Entscheidung auszuschließen, war erfolgreich durch- 
kreuzt worden. Die Beschlüsse der Konferenz von Algeciras waren, wie ich 
mich elf Jahre später in meinem Buch über die „Deutsche Politik“ aus- 
drückte*, ein Riegel vor den Tunifikationsbestrebungen Frankreichs in 
Marokko; sie waren auch eine Klingel, die wir jederzeit ziehen konnten, 
wenn Frankreich wieder solche Tendenzen an den Tag legte. Als nach dem 
Bekanntwerden der Algeciras-Akte in manchen deutschen Kreisen Ver- 
wünschungen und Klagen laut wurden, sagte mir der verständige, uns wohl- 
gesinnte amerikanische Botschafter Charlemagne Tower: „Ich verstehe 
wirklich nicht das Geschrei, das hier jetzt einige Leute erheben. Sie haben 
ja in Algeciras ungefähr alles erreicht, was Sie vernünftigerweise fordern 
konnten.“ Ach, es sollte die Zeit kommen, wo die Toren und Narren, 
die damals von „deutscher Schmach“ und „deutschem Elend‘ faselten, 
* Deutsche Politik, Volksausgabe, $. 91. 
14*
	        
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