Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

240 „DER STAAT BIN ICH" 
amerikanischen Einrichtungen erinnerten. Als in Deutschland, im 18. Jahr- 
hundert, der absolutistische Gedanke vorübergehend die Oberhand ge- 
wonnen hätte, was übrigens unserer staatlichen Ausbildung und auch dem 
kulturellen Fortschritt zugute gekommen wäre, habe es sich um eine Nach- 
äffung der Bourbons gehandelt, denen die deutschen Fürsten nicht nur 
ihre Schlösser, sondern auch ihre Regierungsweise nachmachten. Und dabei 
doch welch ein Unterschied zwischen Friedrich dem Großen und Lud- 
wig XIV.! Der letztere sagt: „L’Etat c’est moi“; der erstere: „Je ne suis 
que le premier serviteur de l’Etat.‘“ Die Deutschen hätten seit jeher das 
Verhältnis zwischen Fürst und Volk als ein gegenseitiges aufgefaßt: Treue 
um Treue. Der Kaiser selbst habe mich, als ich die Ehre gehabt hätte, mit 
ihm der Aufführung des „Zar Feodor‘‘ durch eine übrigens exzellente 
russische Schauspielertruppe beizuwohnen, darauf aufmerksam gemacht, 
daß die russische Unterwürfigkeit noch mehr der Institution als der Person 
des Herrschers gelte. Darum verneige sich der Türke vor dem Thron, und 
der Chinese werde hingerichtet, wenn er nicht vor dem Bilde des Sohnes 
des Himmels die Mütze ziehe. Alle solche Sitten und Vorstellungen wären 
dem Germanen von jeher unverständlich gewesen, der weder vom chinesi- 
schen Kotau noch von der byzantinischen Proskynese etwas wissen wolle. 
Welch ein Unterschied zwischen der trotzigen Haltung der Edlen von 
Brabant in dem urgermanischen „Lohengrin“ und der Kriecherei der 
Bojaren im „Zar Feodor“! Ich betonte weiter, daß der Kaiser wohl daran 
tue, gegenüber den inneren Vorgängen in Rußland Reserve zu beobachten 
und sich in keiner Weise in die dortigen Vorgänge einzumischen. Das zu 
versuchen, würde die Wiederholung des groben Fehlers sein, den Friedrich 
Wilhelm II. beging, als er bei Beginn der Französischen Revolution in 
Frankreich einrückte. Übrigens sei der jetzt regierende Zar von Mitschuld 
an der in Rußland herrschenden Gärung ebensowenig freizusprechen wie 
sein verewigter Vater. Ich fuhr fort: „Beide haben die Zeichen der Zeit nicht 
zu erkennen vermocht. Sie glaubten, daß eine große Bewegung, wie es die 
freiheitliche Bewegung in Rußland im Grund und trotz aller Auswüchse 
doch ist, ohne Reformen noch rechtzeitige Zugeständnisse, nur durch 
Peitschenhiebe der Kosaken, Lanzen der Ulanen und Flintenschüsse der 
Grenadiere unterdrückt werden könnte. Das war ein verhängnisvoller 
Irrtum, nicht nur der Plehwe und Tscherewin, sondern auch zweier Zaren. 
Sobald nun ein unglücklicher Krieg kam, den gerade ein persönliches Re- 
gierungssystem nicht verträgt, erfolgte das Debäcle, das auch die schwere 
und strenge Hand Alexanders III. vielleicht hätte aufhalten, aber schwerlich 
vermeiden können. Dieses russische Debäcle erleichtert uns unter gewissen 
Voraussetzungen unsere auswärtige Lage. Andererseits wird aber dadurch 
der Unterschied in der Entwicklung der östlichen Monarchien mit derjenigen
	        
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