Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Die braun- 
schweigisrhe 
Frage 
248 WER WIRD REGENT VON BRAUNSCHWEIG? 
Bevor ich zu dem bedeutsamsten Vorgang des Jahres 1906, der am 
13. Dezember erfolgten Reichstagsauflösung, übergehe, möchte ich einige 
andere Ereignisse vorwegnehmen, die in die zweite Hälfte dieses Jahres 
fallen. Am 13. September starb infolge eines Schlaganfalls ziemlich uner- 
wartet Prinz Albrecht von Preußen, seit 1885 Regent von Braunschweig. 
Auf Grund des Gesetzes von 1879 konstituierte sich der Regentschaftsrat, 
der aus drei stimmführenden Mitgliedern des Staatsministeriums bestand, 
nämlich dem Staatsminister Dr. von Otto, dem Wirklichen Geheimrat 
Hartwig und dem Wirklichen Geheimrat Trieps, sowie aus dem Präsidenten 
des letzten Landtags und dem Präsidenten des herzoglichen Oberlandes- 
gerichts. Ich war in der Lage, dem Regentschaftsrat sogleich die Unter- 
stützung des Kaisers zu versprechen. Wie sehr unterschied sich diese, aus 
bewährten und ernsten Männern gebildete provisorische Regierung von 
dem Triumvirat lächerlicher und unwürdiger Gestalten, die nach der No- 
vemberrevolution in der alten Welfenstadt die Zügel an sich rissen. An der 
Spitze des Braunschweigischen Novemberministeriums stand bekanntlich 
Herr Sepp Orter, ein bayrischer Landstreicher, der sich bis dahin in Braun- 
schweig mit dem Stopfen von Matratzen durchschlug. übrigens vor seiner 
Ministerschaft im Gefängnis und sogar jahrelang im Zuchthaus gesessen 
hatte. Dieser würdige Ministerpräsident vertraute die Ministerialabteilung 
für Volksbildung, das höhere Schulwesen und das Volksschulwesen einer 
Hebamme an, was einerseits eine schöne Anerkennung der politischen 
Gleichberechtigung der Frauen bedeutete, andererseits vielleicht als feine 
Huldigung für die Ars obstetricia gedacht war. Der Präsident der provi- 
sorischen Regierung von 1906, Herr von Otto, gebörte zu den ausgezeich- 
neten Verwaltungsbeamten, die unter dem alten Regime nicht nur Preußen, 
sondern auch allen anderen Bundesstaaten zur Zierde und zum Segen ge- 
reichten. In einer Unterredung, zu der ich den Minister von Otto nach 
Berlin gebeten hatte, frug ich ihn, ob der gegebene Nachfolger für den 
Prinzen Albrecht nicht dessen Sohn, der Prinz Friedrich Heinrich, sein 
würde. Mit einiger Verlegenheit erwiderte mir der braunschweigische 
Staatsminister, der älteste Sohn des verstorbenen Regenten passe nicht 
recht nach Braunschweig, da er auf religidsem Gebiet zu ausgesprochen 
orthodox-pietistischen Anschauungen und Neigungen huldige. Als einige 
Zeit später Prinz Friedrich Heinrich wegen schwerer sittlicher Verirrungen 
sich in das Privatleben zurückziehen mußte, wurde es mir klar, daß Herr 
von Otto von dem moralischen Defekt des Prinzen wohl schon Wind hatte 
und ihn deshalb unter einem anderen Vorwand ablehnte. Prinz Friedrich 
Heinrich, der persönlich einen tüchtigen und dabei bescheidenen Eindruck 
machte, war nicht nur in dem von ihm kommandierten Regiment, den 
berühmten, 1689 von Markgraf Georg Friedrich errichteten Schwedter
	        
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