Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

260 WOYRSCH MUSS ÜBER DEN STOCK SPRINGEN 
mit dem russischen Minister des Äußern Iswolski zusammengetroffen 
wäre. Iswolski habe ihm dort gesagt, daß und warum Rußland nach seiner 
Niederlage in Ostasien sich mit England über asiatische Fragen verständigen 
müsse, daß er aber nicht wünsche, einer solchen Verständigung eine Spitze 
gegen die deutschen Interessen zu geben. Aus Berlin hatte Iswolski an 
Benckendorff telegraphiert: „Impressions de Berlin excellentes.“ Über die 
Polenfrage hatte Benckendorff bemerkt, daß die völlige Übereinstimmung, 
die in dieser Beziehung zwischen Iswolski und mir herrsche, sehr dazu 
beitrage, zwischen Deutschland und Rußland vertrauensvolle und freund- 
liche Beziehungen aufrechtzuerhalten. Über die inneren russischen Zu- 
stände hatte Benckendorff aus St. Petersburg gehört, daß das ehrliche 
Wollen von Stolypin bei allen Verständigen Anerkennung finde. Die kon- 
stitutionellen Versprechungen des Zaren müßten gehalten werden, andern- 
falls sci eine dauernde Beruhigung Rußlands nicht mehr möglich. Ein 
Zurückgreifen auf den reinen Absolutismus würde ein verhängnisvoller 
Fehler sein. Hinsichtlich der englisch-russischen Beziehungen hatte 
Benckendorff noch gemeint, Afghanistan sei ein Punkt, über den eine Ver- 
ständigung auch beim besten Willen schwerfallen würde. Afghanistan 
stünde unter dem alleinigen Schutz England-Indiens. Es beziehe Subsidien 
aus Kalkutta. England werde sich schwer dazu bereit finden lassen, auf die 
Dauer seine Stellung in Afghanistan mit Rußland zu teilen. Eine haltbare 
Verständigung über Persien sei zwischen England und Rußland nicht aus- 
geschlossen. Über Afghanistan sei eine solche auf die Dauer und für die 
Dauer schwer zu haben. 
Aus Schloß Slawentzitz in Oberschlesien, wo der Kaiser bei dem Fürsten 
Christian Krafft-Hohenlohe-Oehringen für die Herbstjagden weilte, hatte 
mir der gleichfalls dorthin eingeladene Fürst Lichnowsky, bis 1904 mein 
Personaldezernent im Auswärtigen Amt, vertraulich geschrieben: „S. M. 
hat hier im Augenblick der Abreise dem Gottfried Hohenlohe zu dessen 
völliger Überraschung einen Brief an den Zaren (!) in die Hand gedrückt, 
und zwar mit dem Vermerk: ‚Par le prince Hohenlohe‘, so daß es diesem, 
wie er selbst nicht ohne Verlegenheit bemerkte, nunmehr unmöglich ist, 
den Brief an den preußischen Militärbevollmächtigten in St. Petersburg, 
den General Jacobi, zu übergeben. Daß S.M. wiederum, trotz der vor- 
jährigen traurigen Erfahrungen, sein Herz dem genannten österreichischen 
Militärattach& ausschüttete, versteht sich wohl von selbst. Dafür mußte 
Woyrsch vor versammelten Zuschauern ä la Mohr über meinen Stock 
springen.“ Mohr war mein treuer Pudel, der durch die Witzblätter populär 
geworden war. Die Vertrauensseligkeit des Kaisers gegenüber dem damali- 
gen österreichischen Militärattache in St. Petersburg war ein neuer Beweis 
der politischen Unbesonnenheit Seiner Majestät. Prinz Gottfried Hohen-
	        
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