DIE LUFT VOLL VON KRIEGSGERÜCHTEN 261
lohe war nichts weniger als deutschfreundlich und galt den Russen in
St. Petersburg eher als unser Gegner. Er hat später während des Welt-
kriegs als österreichischer Botschafter in Berlin mit rücksichtslosem Egois-
mus die österreichischen Interessen auf Kosten der deutschen gefördert.
General von Woyrsch war einer unserer besten Offiziere, der sich während
des Weltkriegs als Schützer Schlesiens mit Ruhm bedeckt hat. Wilhelm II.
hatte ungehörige Scherze wie das Springen über einen hingehaltenen Stock
in England gelernt, wo derartige „practical jokes‘“‘ sehr beliebt sind, auch
bei einem Football-Match oder an Bord einer Jacht nicht übelgenommen
werden. Nach Deutschland paßte das nicht, und es gehörte sich namentlich
nicht gegenüber einem älteren preußischen General.
Ich sah in diesem Jahr der Wiedereröffnung des Reichstags wenn nicht
mit Ungeduld so doch gern entgegen. Während des Herbstes war die Luft
voll von Kriegsgerüchten. Es mögen auch allerhand Intrigen gespielt haben.
Philipp Eulenburg schrieb mir aus Rominten: „Ich muß zu Deiner Orien-
tierung noch von der Haltung sprechen, die S.M. einnahm, wenn von Dir
die Rede war. Der Kaiser hatte Dich in Wilhelmshöhe vollkommen frisch,
wie früher, gefunden, in Berlin angegriffen. In Gegenwart von August
Eulenburg hatte er über die Angelegenheit der afrikanischen Bahn sehr
heftig getobt. Mir gegenüber sprach er sich nur in sehr gemäßigtem Ton
aus, gewissermaßen vorsichtig. Es klang durch, als schöbe er einen ge-
wissen Mangel an Energie auf die Krankheit, von der Du noch nicht voll-
kommen genesen seist. Ich habe den Eindruck, daß er auf der Note ‚Ener-
gie‘ herumreitet. Sicher ist, daß er absolut niemand weiß, den er an Deine
Stelle setzen könnte. Ich fühle das heraus aus der Art, wie er trotz gelegent-
lichen Ärgers über Dich spricht. Das ist immerhin nützlich und führt ihn
nicht auf Abwege. Unleugbar ist ihm der Gedanke, Du könntest tatsäch-
lich zu leidend sein, um die Geschäfte weiterzuführen, höchst störend,
unbequem und fatal. Als ich vor einigen Tagen zufällig mit der Kaiserin
auf Deine Gesundheit zu sprechen kam (S.M. saß daneben und las) und
sagte: ‚Nun, gottlob ist ja jetzt alles in Ordnung. Es wäre ja schrecklich
gewesen, wenn Bülow hätte zurücktreten müssen‘, blickte 5. M. plötzlich
von seinem Zeitungsblatt auf und sagte: ‚Ja, wahrhaftig, das hätte noch
gefehlt.‘ Diese spontane Bemerkung ist sehr bezeichnend. Bezeichnend aber
auch für seinen Charakter, daß er jede Handlung, welche nicht seinem
Willen entspricht, als Energielosigkeit bezeichnet und nun an Deine
Krankheit knüpft. Ich gebe Dir ein möglichst präzises Bild. Wer würde
Dir das sonst wohl geben ? Mein geliebter, guter Bernhard!“ Dagegen ließ
mir unser Botschafter in Wien, der spätere Fürst, damals Graf Karl Wedel,
ein rechtschaffner Mann und mein treuer Freund, durch meinen Bruder
Karl Ulrich, Flügeladjutant Seiner Majestät, in jener Zeit Militärattach6
Philipp
Eulenburg
über Bülows
Gesundheit